Es geht weiter. Viel Spaß beim Lesen.
„Ich hoffe, dass Sie damit zufrieden waren, Admiral, dass Sie diese Entscheidung nicht bereuen. Wo auch immer Sie jetzt sind, wenn auf der anderen Seite etwas ist.“ Sein Blick war ernst, seine Haltung angespannt, seine Worte ehrlich. „Es ist eine Schande, dass wir – meine Flotte und ich – diesen Sektor noch einmal betreten müssen. Es ist eine Schande, dass die Hawk Plattformen am Rand des Trümmerfelds platzieren musste, um zu verhindern, dass dieses vollständig vernichtet wird, falls Angreifer dort Fallen vermuten. Ich würde diesen Sektor lieber alleine lassen und ihn auf ewig als stilles Mahnmal belassen. Doch die Republik lässt dem Sektor, den sie verwüstet hat, seine Ruhe nicht! Unsere Informationen oder vielmehr die der Hawk halten einen Angriff auf Mahagony zur Errichtung einer Versorgungsbasis für sehr wahrscheinlich. Ist es eine bittere Ironie oder Schicksal, gut oder schlecht, dass gerade ich derjenige bin, der den Sektor verteidigen soll? Ich wünschte, Admiral, dass Sie noch am Leben wären, um mir einen Ratschlag – oder die Antwort zu geben.
Aber Träume und Wünsche lösen das Problem nicht. Ich weiß. Ich danke Ihnen für Ihr Opfer damals und ich verspreche Ihnen, dass ich nach bestem Wissen und Gewissen handeln werde, um die Erinnerung zu bewahren und meine Pflicht zu erfüllen. Im Namen all derer, die über und auf Mahagony ihr Leben ließen – für die Verteidigung des Planeten oder als Zivilist auf der Flucht vor dem Massaker.“ Er salutierte erneut vor dem Bild der HCS Jack Horner und für einen Augenblick glaubte er, zwischen ihm und dem Bild stünde der alte Admiral von damals und erwiderte den militärischen Gruß. Natürlich konnte das nicht sein und natürlich war es nur Einbildung, dennoch beruhigte es ihn ungemein und gab ihm etwas mehr Sicherheit bezüglich der vermutlich bald folgenden Schlacht.
Dann verließ er sein Quartier und begab sich zur Brücke der Akagi, dem Flaggschiff der achten Flotte, die jene achte Flotte beerbte, welche über Mahagony siebenunddreißig Jahre zuvor vernichtet worden war. Es war für ihn durchaus seltsam, dass gerade er das Kommando über diese Flotte erhielt, aber er nahm es als Chance. Immerhin war er der hochrangigste noch lebende Überlebende des Massakers von Mahagony und damit war er an der Reihe, das Erbe des Massakers am Leben zu erhalten, und dafür eignete sich die achte Flotte doch immer noch am Besten. Die Flotte war im Gegensatz zu der letzten Flotte mit dieser Bezeichnung keine leichte mehr, sondern eine reguläre Flotte, die sich in den letzten Jahren tendenziell zu einer schweren entwickelt hatte. Das erklärte auch, warum sie inzwischen einige Schiffe der Achilles-Klasse zur Verfügung hatten, die mit ihrem Alter von acht Jahren in der Flotte der Allianz noch kaum verbreitet war.
Das lag jedoch an der Hawk Corporation, die die Pläne der neuen Schiffsklasse noch nicht freigegeben und daher das Produktionsmonopol hatte. Während für die eigene Flotte bereits seit acht Jahren Schiffe dieser Klasse produziert wurden, wobei man auch leichte und normale Fregatten mit Schiffen der Achilles-Klasse ersetzte. Denn die neue Fregattenklasse sollte die alternde Horner-Klasse als Führungsschiff ablösen, wobei die Horner leichte und mittlere Fregatten ersetzen sollte, um schwerere und damit schlagkräftigere Flottenverbände zu erstellen. Das bedeutete natürlich nicht, dass Schiffe außer Dienst gestellt wurden, sondern nur, dass Verluste mit stärkeren Schiffen ausgeglichen wurden. Die Allianz wollte diesen Prozess ebenfalls durchführen, aber die Hawk exportierte die neue Achilles-Klasse erst seit vier Jahren und nur in geringer Anzahl, so dass bisher drei terranische Flotten gerade einmal ein Schiff des neuen Typs besaßen. Seine gehörte nicht dazu; insgesamt achtzehn Schiffe des Typs gehörten zur achten Flotte, eines davon die Akagi.
Die Brücke gehörte noch der Nachtschicht, die erst in zwei Stunden an die erste Schicht abgeben würde. Trotz mehrstündiger Langweile sprang die Besatzung des Kontrollraums sofort auf, als der Admiral den ausladenden Raum betrat. Er erwiderte den obligatorischen militärischen Gruß und ließ sich über die Geschehnisse in der Nacht informieren. Natürlich gab es nichts zu berichten, außer ein oder zwei Kollisionen von Trümmerteilen und den Aufzeichnungen der Schlacht, die das Mahnmal, das die Hawk in den Ruinen der Hauptstadt errichtet hatte, permanent über Subraumkommunikation in die Weiten des Alls sandte. Barrett ließ sich auf den Kommandostuhl fallen und blickte auf den Hauptschirm, der die Flotte aus der Distanz zeigte. Die Kameras und Sensoren der Akagi erstellten das Bild aus ihren Daten und Perspektiven und das Ergebnis wurde auf dem Bildschirm gezeigt. Es war ruhig und an der Seite der Flotte lag die verwüstete Welt mit ihrem Trümmergürtel. Er ließ seinen Blick darauf verweilen und gedachte still der Toten.
Er hasste es, hier zu sein, und doch war es nötig. Seine Hände ballten sich auf den Lehnen des Kommandostuhls zur Faust. All seine Wut über die Situation konzentrierte er auf die Fäuste und wollte damit auf die Lehnen einschlagen, um sie abzubauen. Aber im letzten Moment beherrschte er sich und drückte die Fäuste weiter zusammen, den Schmerz ignorierend, bis die Wut gegangen war. Dann entspannte er die Hände wieder und legte sie flach auf den Kommandostuhl. Sein Geist bekam davon nicht viel mit; es war nicht mehr als eine einstudierte Reaktion auf Wut, Zorn und Hass. Die Gesichter von Kameraden, Freunden und Verwandten liefen an seinem geistigen Auge vorbei und mischten sich mit den Bildern von damals. Gemetzel, Vernichtung, Verwüstung, nutzlose Opfer und Tod und noch mehr Tod.
„Sir, ich empfange neue Signale…“
7. Juli 2347, HCS Cyrano, Garidan-Sektor
Unzählige Wracks umkreisten inzwischen auf verschiedensten Umlaufbahnen jenen Planeten, den die Terraner verteidigten. Von der einhundert Schiffe starken Verteidigungseinheit unter der TFS Mahagony waren noch dreiundvierzig Schiffe übrig; vier wurden im Hauptsektor der Hawk repariert. Die dritte Flotte der Hawk, die unter Simosin die Verteidiger unterstützen und den Feind besiegen sollte, war auf eine Stärke von neunhundertsiebzehn Schiffen gesunken. Die Orbitalverteidigung lag bei geschätzten dreißig und die Planetarverteidigung bei vierundfünfzig Prozent. Der Gegner hatte noch einige Zeit gehabt, sich von den Geschützen unter Feuer nehmen zu lassen, während er sich formiert hatte, um das Miranda-Störschiff weit hinter dem Hauptkampfverband der neuen Flotte unter Kommando der Cyrano anzugreifen. Bei diesem Manöver waren die Verluste der Republik katastrophal in die Höhe geschnellt und betrugen inzwischen ungefähr zwölfhundert Schiffe und es ging weiter.
Keene hatte nicht falsch gehandelt, als er seine Flotte zum Angriff auf das Störschiff kommandiert hatte, doch hieß das nicht, dass Verluste dadurch ausbleiben würden. Es bedeutete nur, dass er eine Chance hatte, überhaupt ein Schiff retten zu können, denn die Möglichkeit hätte er nicht gehabt, wenn er versucht hätte, die Flotte der Hawk und die Verteidiger zu schlagen. Die Überreste der republikanischen Flotte waren umzingelt und wurden zunehmend eingekesselt, wovon sich Simosin jedoch nicht blenden ließ. Es war klar, dass der Kommandeur der Vigilant, wahrscheinlich der beste Stratege der Republik, durchaus in der Lage war, seine Falle zu durchbrechen und die Miranda zu attackieren. Simosins Hoffnung war gewesen, dass die feindliche Flotte die Miranda nicht so schnell bemerken würde; er war einfach nicht davon ausgegangen, gegen den Kommandeur der Vigilant antreten zu müssen.
Wenn er das gewusst hätte, hätte er vermutlich noch etwas länger gewartet, um die feindliche Flotte vollends in die Falle zu locken und zu zerstreuen. Das hätte aber höhere Verluste der terranischen Einheit zufolge gehabt, die er nicht einfach so hinnehmen konnte. Da ließ er lieber einen kleinen Teil der Angriffsflotte entkommen, zumal man die Wirkung auf die feindliche Kampfmoral nicht unterschätzen durfte. Immerhin war die dritte Flotte der Republik bisher mit die erfolgreichste Flotte gewesen, was es umso unangenehmer für die Propaganda Cingeas machte, wenn sie nahezu vollständig vernichtet werden würde. Eigentlich war diese nahezu vollständige Vernichtung sogar von Vorteil, denn dann konnten die Besatzungen der Flotte selbst erzählen, wie sie von einer technisch und zahlenmäßig unterlegenen Flotte besiegt wurden.
„Sir, die Schwadronen vier, sieben und der Rest der sechsten unterstützen die Stellungen der Allianz. Die Schwadronen acht und zwei sind an der linken Flanke stationiert und dämmen da auch die Ober- und Unterseite ein. Fünf und neun erledigen das an der rechten Flanke. Die dritte, die zehnte und die erste um uns sind jetzt direkt zwischen der feindlichen Flotte und der Miranda.“
Die feindliche Formation wurde inzwischen von der Sourier angeführt, nachdem das verbliebene Schlachtschiff der Republik von der Cyrano und zwei Begleitschiffen vernichtet worden war. Sie näherte sich unaufhörlich der Miranda und ließ sich von den Verbänden der Hawk nicht von diesem Vorhaben abbringen, obwohl die Verluste nahezu sekündlich stiegen. Gleichzeitig konnten die Cingeaner gegen die Schiffe, die sie umzingelt hatten, nicht viel ausrichten. Jeder Vorteil lag auf Seiten der Terraner, die das so gut wie irgendwie möglich ausnutzten. Zwischen den Schwadronen und den anrückenden republikanischen Verbänden lagen mehrere Minenfelder, die zumeist nicht besonders ausgeprägt waren, dafür aber nach einem absolut zufälligen Muster angeordnet waren und genau zwischen der Miranda und ihren Verteidigern und den Schiffen der Republik lagen. Dazu kamen hunderte von Waffenplattformen, die die Schiffe der Hawk während des Angriffs ausgeworfen hatten, zum Einsatz und feuerten ohne Unterlass zusammen mit ihren Mutterschiffen in die Feindflotte.
Zuletzt unterstützten die Raketenbatterien der Kampfschiffe den Angriff und feuerten in einem festgelegten Intervall auf die feindlichen Verbände. Im Gegensatz zu den in unterschiedlichen Abständen Strahlen- und Projektilwaffen feuerten die Raketenbatterien aller Schiffe und Stationen vollkommen synchron, was eine sinnvolle Abwehr unmöglich machte. Außer man koordinierte diese ebenfalls, was den Schiffen der Republik jedoch nicht gelang. Eine solche Struktur konnte überhaupt nicht etabliert werden, weil immer wieder Minenfelder zur tödlichen Falle wurde, weil Partikelstrahlen Kampfschiffe durchschnitten, weil Raketen republikanische Schiffe einfach vernichteten. Jetzt war der Intervall ein weiteres Mal durchgelaufen und die Silos und Batterien der Kampfschiffe der Hawk feuerten Hundertschaften von Raketen auf die Feindschiffe zwischen ihnen. Dutzende Explosionen erhellten das All und weitere Schiffe verschwanden von den Sensoren.
Die Schlacht nahm ihren Lauf, wie sie es sollte, und vernichtete die feindliche Flotte trotz eigener Unterlegenheit ohne bedeutende Verluste. Sekündlich nahm die Anzahl an Feindschiffen ab und es waren nur noch sechshundert republikanische Schiffe, die die erste Verteidigung, ein Minenfeld der größeren Art, erreichten. Explosionen durchzogen erneut das All und blendeten die auf die Front ausgerichteten Kameras der verbliebenen Schiffe der dritten, zehnten und ersten Schwadron der dritten Flotte der Hawk Corporation für einige Sekunden. Währenddessen verschwanden weitere Signale aus Keenes Verband von den Sensoren. Während sich die Republikaner neu formierten, feuerten die Schiffe der Hawk und die Verteidiger der Allianz ihre vollständigen Reserven an Raketen auf die Feinde und zerfetzten Dutzende weitere Schiffe in dem Kreuzfeuer aus Strahlen- und Projektilwaffen sowie Raketen.
Dann trafen die verbliebenen Schiffe der Republik auf die drei Schwadronen unter Simosins Kommando. Der Rest der dritten Flotte der Hawk zog direkt nach, um den Feind erneut zu umzingeln, was aber nicht gelang, da die republikanische Einheit nach dem ersten Aufeinandertreffen in eine Keilform überging, deren Spitze direkt auf die Miranda zeigte, und beschleunigte. Dieses Mal hatte Simosin jedoch mit einer schnellen Reaktion seiner Kontrahenten gerechnet und gab direkt die nötigen Befehle. Seine Flotte sollte die feindliche Formation umzingeln und aus allen Richtungen unter Feuer nehmen, damit die Verluste dort so groß wie möglich ausfielen. Gleichzeitig sollte die Besatzung der Miranda den Sprung des Störschiffs vorbereiten und exakt in dem Moment springen, in dem das erste Schiff der Republik die Verteidigung durchdringen konnte.
7. Juli 2347, CRMS Sourier, Garidan-Sektor
Keene beobachtete den Verlauf seiner Niederlage über die Monitore der Sourier, von der aus er inzwischen die kläglichen Überreste seiner Flotte kommandieren musste. Es war nur eine weitere Niederlage in einer ganzen Reihe von Schlachten, die er gegen diesen verfluchten Kommandeur der dritten Flotte der Hawk Corporation führen musste. Dieser Mann – Julian Simosin mit Namen – war ihm bisher viermal begegnet. Dreimal hatten sie gegeneinander gekämpft und dreimal hatte Simosin gewonnen; diese Schlacht hatte er in die Statistik bereits mit einbezogen – als Niederlage. Denn es war inzwischen völlig illusorisch, noch an einen Sieg zu glauben. Simosin hatte mit seiner Einheit und den terranischen Verteidigern inzwischen zwei taktische Flotten nahezu völlig vernichtet. Von zweitausend Schiffen waren nur noch etwas mehr als dreihundert übrig und deren Überleben war noch lange nicht gesichert. Dabei hatte er eigentlich nur eine Orbital- und Planetarverteidigung und eine einzelne Schwadron als Gegner gehabt, welche sich, wie er sich eingestehen musste, bereits viel zu gut geschlagen hatte.
Dennoch hätte er gewonnen, wenn nicht diese verdammt dritte Flotte Simosins gekommen wäre! Jede andere Flotte der Allianz oder Hawk hätte er vermutlich noch schlagen können, aber diese nicht. Mit seiner üblichen strategischen Brillanz brachte sich Simosin mit seiner Flotte im genau richtigen Moment hinter seinen Schiffen in Stellung und brachte sie zwischen zwei Feuer. Dieser Mann hatte es geschafft, eine zahlenmäßig überlegene Einheit einzukesseln, und das nur durch Abwarten. Simosin hatte nur warten müssen, bis er seine Flotte zwischen die Defensive der Allianz befohlen hatte, bis alle Aufmerksamkeit der Republik auf der Allianz und dem Planeten lag. Dann hatte er angegriffen und diese Situation ausgenutzt; diese Formation, die Josef gewählt hatte, um den Feind zwischen zwei Feuer zu legen und seine Positionen zu zerteilen. Er hatte nicht mit Verstärkung für die auf verlorenem Posten kämpfenden Terraner gerechnet, schon gar nicht mit der mächtigsten Flotte der Hawk Corporation. Was machte die Hawk auch im Gebiet der Allianz, wenn ihr eigenes angegriffen wurde?! Hatte die Hawk wirklich ein solches Selbstvertrauen, dass sie ihre Flotten in solchen Situationen zu Verbündeten schickte und dann nicht einmal irgendeine Flotte, sondern genau diese?!
Darüber konnte er sich ein anderes Mal Gedanken machen. Nein – darüber musste er sich ein anderes Mal Gedanken machen, sofern es ein anderes Mal geben würde. Dafür musste er schließlich erst einmal überleben und das war noch eine riskante Aufgabe, hatte er doch nur noch dreihundert Schiffe zur Verfügung. Egal, es musste reichen. Die Sourier führte die Formation und hielt direkt auf die Miranda zu, die auf dem Frontbildschirm, der eine realistische Sicht vom Bug des Schiffes aus nachahmte, immer größer wurde. Immer wieder passierten Partikelstrahlen die Sourier in geringer Distanz und schlugen hinter ihr in republikanische Schiffe ein. In scheinbar regelmäßigen Abstanden leuchtete dann für ein paar Sekunden das Bild schwach auf und zeigte so die Vernichtung eines weiteren Schiffs, welches vermutlich zu seinen Verbänden gehört hatte.
Diese Erscheinungen waren auf gegnerischer Seite sehr viel seltener. Das verwunderte ihn nicht, nicht mehr. Aber es regte ihn auf. Wie hatte er so dumm sein können? Wie hatte er seine beiden Flotten so einsetzen können, dass es genau dem entsprach, was sein Gegenspieler erwartet hatte? Wieso waren diese verfluchten Terraner nur strategisch so weit voraus? Musste er wirklich ein Terraner werden oder zumindest wie einer denken, um sie schlagen zu können? Er hielt das für immer wahrscheinlicher und bereits der Gedanke daran brachte ihn beinahe dazu, sich zu übergeben. Terraner und Cingeaner waren sich so ähnlich, wenn man nach dem Äußeren ging oder nach den Zivilisationen oder nach den Verhaltensweisen. Auf der anderen Seite waren sie so unterschiedlich in diesem einen Punkt, der momentan all die anderen bei Weitem überwog – die Überlegenheit der Terraner im strategischen Denken! Es war, als hätten die Terraner es nie anders gekannt, als wäre der Krieg für sie eine Art kulturelles Erbe, als hätten sie über Jahrtausende nebenbei immer und immer wieder Krieg geführt – ohne Pause.
Er befahl der Feuerleitung, den Beschuss der Miranda zu beginnen, obwohl man gerade so eben in maximaler Reichweite war und die Schiffe der Hawk noch immer zwischen ihm und seinem Ziel standen. Als die anderen Schiffe seiner Einheit das sahen, schlossen sie sich sofort an und ein verdichtetes Feuer von mehr als fünfzig Schiffen – die anderen waren noch nicht in Reichweite – schlug der Miranda entgegen. Auf dieser interpretierte man den Befehl von Simosin kurzerhand um und aktivierte den längst geladenen Sprungantrieb. Simosin hatte zuerst geplant gehabt, die Miranda an anderer Stelle im System wieder auftauchen zu lassen, hatte den Gedanken jedoch schnell vergessen. Er konnte sie nur in der Nähe wieder auftauchen lassen, damit sie die Reichweite hatte, die feindlichen Überlichtantriebe auch wirklich auszuschalten. Und das bedeutete letztlich, dass das Schiff so nah wieder erscheinen würde, dass es erneut angegriffen wieder konnte; das Risiko war ihm zu groß, denn die Miranda war nur eine Leihgabe des Oberkommandos für diese eine Mission. Julian wollte nicht wissen, was es bedeuteten würde, diese Leihgabe zu verlieren.
„Endlich“, sagte Keene zu sich selbst, als das Signal des Störschiffs verschwand und nicht erneut erschien. Es war ihm egal, ob er es zerstört hatte oder nicht, solange es nur weg war. „Sprungantrieb laden und weg hier!“
„Mehrere Schiffe melden Schäden am Sprungantrieb!“
„Die sollen in den Subraum gehen. Sofort!“
„Ist bestätigt, kein Schiff vorhanden, das den Ausfall beider Systeme meldet. Ziel?“
„Das nannte ich schon lange vorher: Anida. Bringen Sie uns als letztes Schiff in den Subraum. Wir folgen den anderen Schiffen, die diesen Weg nehmen müssen.“
Keene sah auf den Lagetisch, vor dem er stand, der in Echtzeit die Sensordaten auf holographische Projektionen oder eine einfache dreidimensionale Karte mit Symbolen für alle relevanten Objekte. Keene bevorzugte bei größeren Gefechten die einfacherer Karte, sie war abstrakter, aber übersichtlicher. Die meisten Führungsoffiziere entschieden sich für eine Mischung beider Systeme, damit sie sich die Symbole nicht merken mussten, andere wählten die komplett holographische Darstellung mit Zusammenfassung und einige wenige wählten die Karte. Dass zu diesen Leuten auch Simosin gehörte, hätte Keene wohl kaum gewundert, wenn er es erfahren würde – und Simosin andersrum genau so wenig.
Der vierzig Jahre alte Admiral sah erst dann wieder vom Lagetisch auf, als die letzten republikanischen Symbole verschwanden, denn mit diesen verschwanden auch alle anderen Symbole und das System rekalibrierte sich dementsprechend. Über die Sensoren erfasste man die Daten der anderen Schiffe im Subraum und glich die Kurse an, was vom Lagetisch nun wieder dargestellt wurde. Für Keene war das nicht mehr relevant; er ließ sich auf einen Stuhl neben dem Lagetisch fallen und blickte auf den Hauptbildschirm, der verschwommen die Sterne zeigte, wie sie scheinbar am Schiff vorbei fielen. In Wirklichkeit war es natürlich die Sourier, die sich bewegte, und nicht die Sterne - beziehungsweise schon die Sterne, aber das konnten sie nicht bemerken.
Es war so erbärmlich, die Vigilant und die Schlacht verloren zu haben; erneut fühlte er sich an seine erste Begegnung mit Terranern dieser Art erinnert. Damals, vor fünf Jahren, hatte man ihn mit einer Mission gegen einen Piratenclan betraut, der sich kurz zuvor mit einem Raubzug gegen eine republikanische Welt zu viel erlaubt hatte. Dabei waren die Terraner aufgetaucht und eine ihrer Einheiten hatte ihm empfindliche Verluste beigebracht. Es hatte sich dabei um insgesamt einhundert Schiffe der Hawk gehandelt, während er dreihundert Schiffe zur Verfügung gehabt hatte. Am Ende hatte er die Schiffe der Hawk und die der Piraten vernichten können – und dabei enorme Verluste gegen eine gegnerische Unterzahl erlitten. Das war nach seiner persönlichen Erfahrung auch der Unterschied zwischen Hawk und Allianz: die Hawk hatte eine Anzahl von Offizieren, die nicht nur taktisch brillant, sondern auch in gewisser Weise wahnsinnig waren.
Josef versuchte, sich an den Namen des gegnerischen Kommandeurs zu erinnern, doch es wollte ihm nicht gelingen. Alles, was er noch wusste, war ihr Auftreten beim ersten Gespräch und ihr Aussehen, wobei er nicht leugnen konnte, dass sie attraktiv gewesen war. Aber sie war nicht sein Typ, schon deshalb nicht, weil sie sein Feind war. Wenn sie ein Offizier der Republik gewesen wäre, hätte das vielleicht anders ausgesehen. Jedenfalls hätten sie sich vermutlich halbwegs verstanden. Aber so war das undenkbar, schließlich war sie der Gegenspieler, der Gegner, der Mörder Tausender Offiziere. Sie hatte ihm entsetzliche Verluste beigebracht und ihn nicht nur einmal in eine Falle gelockt, in die er meist blindlings getappt war. Sie hatte ihn vorgeführt und die Vigilant in mehreren Situationen beinahe ernsthaft schädigen können. Wenn sie wüsste, dass die Vigilant jetzt doch zerstört worden war, würde sie sich dann freuen? Vermutlich. Aber das konnte sie nicht, denn sie war tot – sollte es zumindest sein, andererseits musste dieses Störschiff irgendwoher kommen. Aber es konnte eigentlich nicht sein, dass es dieses Störschiff war. Nein, das war ausgeschlossen, so hoffte er.
Am Ende hatte er doch triumphiert, trotz aller Verluste und aller Fallen, die sie seiner Einheit und ihm gestellt hat. Trotzdem hatte er sich nie wirklich als Sieger gefühlt, denn sie hatte ihm doch viel mehr geschadet als er ihr. Als er noch im selben Jahr das erste Mal auf die Cyrano und Simosin traf, kam diese Erinnerung sofort wieder hoch. Denn Simosin knüpfte direkt daran an und brachte ihm massive Verluste bei, bis Keene sich dazu durchringen konnte, den Rückzug anzutreten. Niemals würde er diese Toten vergessen oder die Morde verzeihen! Vergeben und Vergessen – das würde er niemals akzeptieren. Er wollte bittere Rache für jeden Gefallenen und, wenn man dafür die gesamte Allianz und die gesamte Hawk auslöschen musste, dann sollte eben genau das auch geschehen.
„Wie viele Schiffe haben überlebt?“, fragte Keene dann.
„Dreihundertneun.“
Der Admiral der ehemaligen dritten Flotte wünschte sich zurück an Bord der Vigilant, in dem Moment, in dem sie die Schlacht begonnen hatten. Er wollte eine zweite Chance, bei der er alles besser machen würde; das wusste er. Aber einen Weg zurück gab es nicht und das bedeutete, dass er seine Rache so nehmen musste. Gerne würde er sich selbst versprechen, dass Simosin und seine Cyrano in der nächsten Schlacht gegen ihn fallen würden, jedoch war es eine Tatsache, dass das Gegenteil viel wahrscheinlicher war. Nur die Tatsache, dass er ein Schlachtschiff und damit Überlegenheit hatte, hatten bisher den Unterschied ausgeglichen. Diese Mahagony und ihre Begleiter sowie die Cyrano hatten das in der Schlacht jedoch verhindert hat und Simosin zum ersten wirklichen Sieg über die Vigilant verholfen. Das Schlachtschiff, auf dem Keene bereits seit einem Jahrzehnt diente, war gefallen, gegen die Terraner, gegen Simosin und diese Mahagony.
Bei beiden würde er irgendwann Rache nehmen. Irgendwie würde das schon gehen. Offiziere wie die Kommandeure dieser beiden Schiffe waren es, die so gefährlich für den Sieg der Republik waren, und darum würden sie alle irgendwann sterben. An diesem Tag stünde er wieder auf der Brücke eines Schlachtschiffs und würde den Befehl geben, der diese Schiffe vernichten würde – dieses Schiffe und ihre Besatzungen und Kommandeure. Er konnte diesen Tag kaum erwarten und wusste, dass er es war, der ihn herbeiführen musste. Und das würde er tun, sofern ihm das Oberkommando ein neues Kommando geben würde, immerhin war das seine dritte Niederlage mit massiven Verlusten und das immer gegen denselben Gegner. Dieses Mal würde er um den Militärprozess wohl kaum herumkommen.
Eigentlich musste man sich nicht für Niederlagen vor diesem speziellen Gremium verantworten, aber das Oberkommando hatte ihm schon nach der letzten verlorenen Schlacht damit gedroht und würde dieser Drohung mit Sicherheit jetzt Taten folgen lassen. Er hatte schließlich nicht weniger als sechzehnhunderteinundneunzig Kampfschiffe verloren und das war wirklich eine ziemlich große Menge. Sie entsprach fast den kompletten eigenen Produktionskapazitäten auf ein halbes Jahr gerechnet. Also blieb ihm nur zu hoffen, dass die Admiralität ihn freisprechen würde, was jedoch bedeutete, dass sie zu dem Schluss kommen mussten, dass die Niederlage unabwendbar gewesen war. Es würde sicherlich kein leichter Weg werden, der ihm nun bevorstand, doch daran war er selbst Schuld – er hatte die Schlacht ja verloren. Und seine Gegner würde er kaum dafür verantwortlich machen können, dass sie ihn besiegt hatten, das wäre eine wirklich lächerliche Verteidigung.
7. Juli 2347, Zentraler Werftkomplex, Hawk Prime
„Die feindlichen Kräfte sind entkommen.“
„Die Miranda ist ihrer letzten Mitteilung nach zu ihrem Heimathafen zurückgekehrt.“
„Wir haben die Bestätigung, dass exakt dreihundertneun feindliche Schiffe entkommen sind.“
„Dreihundert zu viel“, beschwerte sich Julian mehr über sich selbst als über die Besatzungen.
„Seit wann wirst du ungenau?“, erkundigte sich Matthias, der neben seinem Admiral am Lagetisch stand.
„Das war schon so gemeint, ein oder zwei Überlebende, die von dem fatalen Niedergang ihrer beiden Flotten, darunter die dritte, berichten, wären tödlichstes Gift für die feindliche Moral gewesen. Aber über dreihundert Schiffe sind für diesen Zweck zu viel.“
„Willst du dich jetzt darüber aufregen, dass wir nur knapp siebzehnhundert Schiffe mit insgesamt elfhundert Einheiten und einer tendenziell mittelstarken stationären Defensive geschlagen und dabei nur zweihundert Schiffe und einen nicht unbeträchtlichen Teil der unbemannten Stationen verloren haben?“
„Es war ein Sieg, daran zweifle ich nicht. Aber es ist nicht so gelaufen, wie es hätte laufen sollen.“
Matthias schüttelte den Kopf und schaltete die Anzeigen auf dem Lagetisch auf eine Auflistung zurück. „Wir sollten nach Hawk Prime zurückkehren“, Er zeigte auf einen bestimmten Teil der angezeigten Liste, auf dem vier Schwadronen der dreizehnten Flotte angezeigt wurden, die die Verteidigung des Sektors übernehmen sollten. „Es wäre ja nicht so, dass man keine anderen Aufgaben für uns hätte“, ergänzte er und schnitt eine Grimasse.
Julian machte eine zustimmende Geste und befahl, den Sprung in den Heimatsektor vorzubereiten. Schiffe der Hawk und verbliebene Schiffe der Allianz, die dazu nicht mehr in der Lage waren, sollten von entsprechenden Großraumtransportern abgeholt werden. Einen Augenblick später verschwanden die Schiffe von den Sensoren der zurückbleibenden Schwadronen und planetaren sowie orbitalen Verteidigungssysteme, um im Orbit von Hawk Prime wieder zu erscheinen. Achthundertdreiundsiebzig Kampfschiffe der dritten Flotte steuerten die Werften des Systems an, um sich reparieren zu lassen, oder postierten sich im Orbit der Planeten oder in der Nähe der Verteidigungsanlagen und –Verbände.
Die Cyrano war zwar kaum beschädigt, steuerte aber dennoch das Zentrum des Werftkomplexes an, der diesen Sektor beherrschte. Den Besatzungsmitgliedern fiel kaum noch auf, wie kolossal diese Anlagen für Bewohner der Allianz waren und sein mussten, die solch massive Anlagen noch nie gesehen hatte. Dennoch bemerkte jeder von ihnen immer wieder aufs Neue, wie gigantisch der Zentralkomplex mit seinen zwölf Docks wirklich war. Diesmal dockte man jedoch nicht an eines der Docks an, sondern an den oberen Verwaltungstrakt. Kaum war der Andockvorgang abgeschlossen, übergab Simosin das Kommando seinem XO und verließ zusammen mit Matthias die Brücke. Sein Ziel war die Mahagony und vor allem der Captain der schweren Fregatte, den er noch von früher kannte. Er kam nicht umher darüber nachzudenken, ob die Umstände ihres Wiedersehens wirklich die besten waren. Dennoch freute er sich darauf, immerhin waren seit dem letzten und bisher einzigen Treffen fünfzehn Jahre vergangen.
Matthias hingegen wusste davon nichts und rechnete mit einem reinen Höflichkeitsbesuch, bei dem Julian klarstellen würde, warum er den Schiffen unter diesem Captain Pearson Zutritt zum Heiligtum der Hawk verschafft hatte. Andererseits wunderte es ihn, dass er das nicht einfach per Kommunikation abhakte, sondern stattdessen an der Zentraleinrichtung der Werft dockte und persönlich das schwer beschädigte Schlachtschiff besuchte, das vermutlich nicht einmal mehr bemannt sein würde. Als sie das Schiff erreichten, stellte sich dieser Gedanke als fast richtig heraus. Von der eigentlichen Besatzung war niemand mehr an Bord, dafür aber Reparaturpersonal und der Kommandeur des Schiffs, der von einem Aussichtsdeck nahe der Mahagony zusah, wie die Arbeiten an dem Schiff vorangingen. Julian machte sich sofort auf den Weg zu dem Raum, der das Aussichtsdeck darstellte. Matthias folgte zwar, wurde jedoch langsam neugierig, was für einen Hintergrund Julians Verhalten wohl haben würde.
„Wie viele Schiffe der Schwadron haben eigentlich überlebt?“, fragte Simosin ohne Ankündigung und verwunderte seinen taktischen Offizier und Freund damit noch mehr. Dennoch antwortete Matthias sofort.
„Neununddreißig. Warum willst du…?“
„Wirst du gleich erfahren“, erklärte er und ging weiter, bis er die Tür des Aussichtsraums erreichte und öffnen konnte.
„Captain Kathy Pearson!“ Er salutierte.
Sie erkannte die Stimme wieder – Simosin war nahezu eine Legende in der Hawk und als Soldat war es unvermeidlich, die Stimme regelmäßig zu hören, wenn der Oberkommandeur der dritten Flotte Technik-, Schiffs- und Situationsanalysen übermittelte. Aber daran lag es nicht; nein, sie kannte den Admiral aus der Zeit, in der er noch Captain war. „Admiral Julian Simosin!“ Sie versuchte, denselben Tonfall zu treffen wie Simosin, schaffte es aber nicht komplett. Dann erwiderte sie den militärischen Gruß, allerdings mit der rechten Hand, da die linke noch nicht verheilt war.
Er erinnerte sich jedoch noch daran, dass sie Linkshänderin war, wie er auch und erkundigte sich, warum sie gerade mit der rechten Hand salutiert habe.
„Ich hatte eine unerfreuliche Begegnung mit ein paar Soldaten der Republik, bei der ich einen Streifschuss abbekommen habe, der noch nicht ganz verheilt ist.“
„Also nichts Ernstes“, erwiderte er und reichte Kathy die Hand. Diese zögerte erst, wenn auch nur für einen Augenblick, und nahm dann die dargebotene Hand. Als sie daraufhin versuchte, ihn freundschaftlich zu umarmen, wehrte er sich nicht und erwiderte die Umarmung, die sich kurz darauf wieder löste.
„Schön, Sie wieder zu sehen, Sir.“
„Das kann ich nur zurückgeben Captain. Es ist lange her.“
„Dreizehn Jahre, aber es kommt mir nicht so lange vor und … so lange es auch her ist, so entdecke ich doch gewisse Parallelen zwischen meiner damaliger und meiner heutigen Situation. Obwohl ich wirklich hoffe, dass diese Verbindungen nur ein Zufall und Einbildung sind, dass sie nicht wirklich existierten.“
„Wovon reden Sie, Captain?“, fragte stattdessen Matthias nach, der nicht verstand und mangels Wissen nicht verstehen konnte, was sich zwischen den beiden Offizieren abspielte.
„Captain, es gibt keinen Grund, mir solche Vorwürfe zu machen.“
„Wirklich nicht, Sir?“, begann sie, brach dann aber ab und sah zu Matthias, um herauszufinden, ob er es erfahren durfte oder nicht; Julian nickte und sie fuhr fort. „Damals hatte man uns in einen Sektor nahe der Grenze geschickt, damit wir den Feind auf uns aufmerksam machen und ihn ablenken, indem wir uns abschlachten lassen. Wenn ich an die Schlacht gerade zurückdenke, entdecke ich da gewisse Parallelen oder wollen Sie das abstreiten?“
„Ich weiß durchaus, was Sie meinen, Pearson, aber Sie übersehen die Situation. Sie wurden in diesen Sektor geschickt, um als Köder zu dienen.“