Gerade erst frisch erstellt.

Sternentänzer
Unikat aus gutem Grunde
Es war ein recht sonniger Tag in Argonia City, nur wenige Wolken standen am Himmel und verdeckten hin und wieder die strahlende Sonne. Die mächtigen Tower der Hauptstadt streckten sich gen Himmel, immer wieder landeten Raumschiffe auf einigen der übergroßen Türme, immer wieder starteten andere, ein mehr oder minder gleichbleibendes Getöse hallte durch die Straßen und sollte bis in den späten Abend nicht verstummen. Wenn auch alles sehr laut war, so ging doch eine gewisse Friedfertigkeit von diesem Ort aus, die majestätischen Wälder und Wiesen, die die Stadt umrundeten, verliehen der riesigen Metropole zudem eine gewisse Natürlichkeit.
Nicht weitab der Stadt befand sich eines der wenigen militärischen Trockendocks auf Argon Prime. Gewissermaßen handelte es sich bei der Werft um ein Relikt aus vergangenen Zeiten, in denen die Argonen noch keine stellare Schiffswerft errichtet hatten. Mittlerweile wurden hier unten keine neuen Raumer mehr gebaut, der Aufwand war schlicht zu groß, alle Arbeiten ließen sich in der Schwerelosigkeit leichter bewerkstelligen. Nun nutzte man das Trockendock bestenfalls noch zur Reparatur, meistens aber schlicht als Lagerhalle für in die Jahre gekommene Schiffe – und genau das war es, was das argonische Militär gerade brauchte. Der Xenonkonflikt war an seinem Höhepunkt angelangt und langsam aber sicher gab es Probleme an der Front, demnach blieb den Militärs nicht viel mehr übrig als die Frontlinien zu verstärken. Erst vor kurzem war die im Volksmund ‚Museumsschiff’ genannte Hecate Mimir wieder in Betrieb genommen worden, nun sollten auch andere veraltete Schiffe im Rahmen des Projekts R restauriert werden, die letzten noch betriebsfähigen Schiffe waren schon in der Schiffswerft angelangt und wurden gerade flott gemacht, nur noch ein einziges Wrack lag in den düsteren Hallen jenes Trockendocks nahe Argonia Citys – doch auch die Zeit dieses Reliktes war gekommen und schon bald würde es wieder zu den Sternen aufbrechen.
Kapitel I.
Attentat am Abend
Admiral P. Yong wanderte relativ zufrieden einige Korridore des Trockendocks entlang, merkwürdigerweise wurde er nicht von einer obligatorischen Leibwache verfolgt, wie es bei Admirälen üblich war, ansonsten schien er wie die anderen zu sein – schwarze, beinahe höflich wirkende Schuhe, standardisierte meerblaue Militäruniform, bestehend aus Stoffhose und Jacke sowie einer gleichsam blau gefärbte Militärkappe, die Kleidung darunter war selbstverständlich weiß, auch wenn man sie nicht sehen konnte, all das stellte seine Bekleidung dar. Auf seinen Schultern prangten zudem weiße Platten mit goldenen Rändern sowie einigen herabhängenden Lamellen, an seiner Brust hefteten mehrere Orden aller Klassen und Grade, so sah er auf den ersten Blick aus, der perfekte Admiral. Braunes Haar entwuchs seinem Kopf und trat ordentlich geschnitten und gekämmt unter der Mütze hervor, wuchs die Schläfen entlang bis fast zum Kinn des relativ kantigen Gesichtes, sodass das Haar einer Art Helm nicht unähnlich sah. Ein weiteres Merkmal kennzeichnete Yong, das ihn von den anderen Admirälen unterschied – es war fünfundzwanzig Jahre alt. Gar die strebsamsten Soldaten waren in diesem Alter bestenfalls Offiziere, er hatte schon die gesamte Karriereleiter erklommen – nun, schließlich war er auch schon über zwanzig Jahre im Dienst des Militärs...
Endlich nahmen die schier endlosen dunklen Korridore des Docks ein Ende und er betrat den Wachraum im oberen Teil der Landezone, von der aus man das gesamte Feld überblicken konnte.
„Nun, hier bin ich“, sagte Yong. „Einen guten Tag, meine Herren.“
Hier, im Kontrollraum, wuselten drei junge Mechaniker umher und prüften ein paar Werte, sie grüßten nur kurz mit winkender Hand, ein vierter Mann stand an der Kaffeemaschine und schreckte auf, als er den Admiral hörte. Der Kaffee ergoss sich über sein weißes, ölverschmiertes Hemd, das zuvor wild herumgeflattert war und jetzt an ihm klebte, er floss hinunter in die Jeans und hinterließ einige verräterische Spuren, bevor er in die Hausschuhe tropfte, die der Mann im Dienst trug. Er war relativ ordentlich rasiert, zumindest vor einer Woche musste er so gewesen sein, sein schwarzes Haar war schon ein wenig länger und er wirkte alles in allem wie ein Hippie.
Nachdem sich die Überraschung bei dem doch recht zerstreuten Kerl gelegt hatte, ließ er seinen Becher fallen, der auf dem Boden zersprang, und wischte sich das Heißgetränk mit den Händen vom Leib.
„Ah, Hallo, Herr Yong, nicht wahr?“, fragte er lächelnd und schritt zu ihm hinüber, um ihm die Hand zu reichen. Der Admiral schüttelte sie und bereute es noch im selben Moment, schmierte den öligen Kaffee dann auf dem Tisch ab.
„Und sie müssen Chefingenieur Settlebug sein“, schloss Yong aus dem, was er bisher gehört und gesehen hatte. Settlebug war nicht viel älter als er, ein paar Jährchen vielleicht...
„Nun, sie wollten mir unser neues Schiff zeigen?“, fragte Yong.
„Wie?“, wunderte sich der Ingenieur, überlegte kurz und nickte dann heftig. „Ja, stimmt, das Schiff – es ist nicht wirklich neu, wissen sie, es ist nur, wie soll ich sagen, recycelt, nicht? Und wir haben ein paar neue Features eingebaut, verstehen sie?“
„Ich hoffe, das ist eine rhetorische Frage...“, sagte Yong. Settlebug sah ihn kurz verwirrt an, natürlich war sie das, was sollte es denn sonst gewesen sein?
„Nun, äh, jedenfalls ist das Schiff noch heute Abend flugbereit und wir sollten es ihnen ja zeigen, nicht? Ähm... wo hab ich das Ding jetzt nur...?“, flüsterte er sich selbst zu.
„Im Hangar“, sagte einer seiner Mechaniker und lächelte kopfschüttelnd, Settlebug nickte, natürlich im Hangar, wo denn sonst?
„Licht an“, sagte der Chefingenieur und trat näher an die Glasscheibe heran, von der aus man den gesamten Landeplatz überblicken konnte, Yong folgte ihm. Dort unten im Trockendock gab es gut zehn Anleger für Schiffe, die sich in der Größe irgendwo zwischen Korvette und Zerstörer befanden. Nur ein einziges Schiff war angedockt, das einst als das größte Raumschiff aller Zeiten angesehen wurde, heute war es bestenfalls noch ein mittelgroßer Kreuzer. Es handelte sich um das zweite große Kriegsschiff der Föderation. Damals, nachdem die Hecate Mimir mit boronischer Hilfe gebaut worden war, stellte sich der Zerstörer zwar als mächtig heraus, war jedoch auch sehr anfällig dafür, mitten im Kampf den Geist aufzugeben und dann in einer Starre zu verharren, bis man es mit kleinen Schiffen zurück ins Dock zerrte.
Deshalb entwarfen die argonischen Ingenieure ein zweites Kriegsschiff, einen Nachfolger für den Fall, dass die Hecate irgendwann wirklich weggepustet wird – merkwürdigerweise gehören diese beiden ersten Schiffe zu denen, die am längsten lebten, das dritte Schlachtschiff war schon beim Start explodiert, das vierte war aufgrund einer lockeren Schraube in Einzelteile zerfallen und das fünfte ist beim Update des Betriebssystems zu den Xenon übergelaufen. Und das war nur der Beginn der Geschichte katastrophaler argonischer Raumfahrt...
„Ist es nicht... wunderschön?“, triumphierte Settlebug und deutete auf den Raumer. Das Schiff sah der Hecate in einigen Punkten ähnlich, es wurde ebenso von einem Kommandoturm aus gesteuert und verfügte über zwei Artillerieschächte, vier Torpedorohre und sechs Frontlaser sowie zwei Geschütztürme an den hinteren Seiten. Dieser Zerstörer war jedoch deutlich länger gezogen und auch anders geformt, die Unterseite war abgerundet, die Oberseite flach, um den darauf installierten Artilleriewaffen Platz zu bieten, das Schiff war in dunklem Blau gehalten und wirkte ein wenig wie eine extrem lange Nuss, war in der Mitte jedoch deutlich schmaler, von dort aus wellte es sich zu beiden Seiten gleich nach außen und kam dann vorne in einer Spitze, hinten in einer Fläche zusammen, an letzterer waren die Antriebe installiert. Von der Form her wirkte es deutlich dynamischer als sein Vorgänger, es war auch um ein paar Ecken größer, alles in allem ein erträglicher Anblick.
„Wir haben einige Erweiterungen eingebaut, das Schiff ist nun deutlich schneller und stabiler, außerdem wurde der Atomgenerator durch einen etwas moderneren Fusionsreaktor ersetzt, und, was uns besonders stolz macht, es kann auf 300 Meter tauchen, ist das nicht wunderbar?“
„Meine Uhr schafft fünfhundert...“, sagte Yong abgeneigt. „Überhaupt wollte ich ein Raumschiff haben und kein U-Boot, denken sie, dass die Xenon uns von unten angreifen?“
Settlebug war kurz ruhig und begann dann wild zu gestikulieren. „Wir haben auch ausklappbare Reifen anmontiert, das ist wirklich nützlich, wenn man irgendwo landen will, außerdem verfügt das Schiff über ausklappbare Flügel, es kann mehrere Kilometer weit durch die Luft gleiten, natürlich nur durch Hilfe des Düsenmotors – ein Allzweckschiff! Ist es nicht perfekt?“, fragte Settlebug, er war ein wenig herumgehüpft und an der Stelle mit den Flügeln hatte er die Arme ausgebreitet und war kurz mit Brummgeräuschen umhergerannt.
„Das ist der größte Schwachsinn, den ich je gesehen habe“, sagte Yong.
Settlebug sah ihn aus großen Augen an. Der Chefingenieur wirkte irgendwie wie ein Borone mit mangelhaftem Wortschatz.
„Ich habe keine Ahnung, wozu wir die Extras brauchen“, fügte er hinzu. „Settlebug, die Restauration dieses Schiffes hat uns mehrere Millionen Credits gekostet, wie viel davon war umsonst?“
Settlebug zog den Kopf zwischen die Schultern und machte sich ziemlich klein. „Nun, wenn sie mit umsonst die Extras meinen... an die 90%, eh? Hehe... he... ähm...“
Der Admiral atmete hörbar laut ein. „Sie wissen, jedem Admiral der Flotte wird nur ein bestimmtes Budget zugeteilt – für das, was sie hier verschwendet haben, könnte ich eine ganze Jagdstaffel aufstellen.“
„Ah, ah!“, rief Settlebug. „Ich vergaß, ich vergaß, das Schiff verfügt jetzt über einen Hangar! Wir mussten nur ein wenig Frachtraum opfern... drei Argon Elite und drei Argon Nova passen hinein, die Schiffe sind auch schon drin und können innerhalb von wenigen Sekunden ausgeworfen werden... perfekt, nicht?“
„Na ja... immerhin etwas...“, maulte Yong. Immerhin hatte er jetzt ein neues Schiff in seiner Flotte, es war gewiss nicht das beste, aber die Werften kamen mit der Produktion nicht hinterher, da es überall an Teilen fehlte – nun, er würde jemanden finden müssen, der dieses Schlachtschiff ordentlich einzusetzen wusste. Noch heute würde er die Crew rekrutieren.
„Settlebug – suchen sie sich ein paar Mechaniker zusammen, sie werden auf dem Schiff dienen. Den Rest der Crew werde ich bis heute Abend herbeordern... es gibt sicher noch irgendwen, der gerade nicht im Einsatz ist... muss ich halt mit der Reserve vorlieb nehmen.“
Der Chefingenieur sah ihn etwas überrascht an – er war Ingenieur beim Militär geworden, um dem Krieg zu entgehen, indem er irgendwo in der Heimat Schiffe schweißte... Yong nickte nur und verließ den Raum dann wieder, sein Wort war endgültig. Am nächsten Morgen sollte das Schiff sich gen Himmel erheben, bis dahin waren noch einige Vorkehrungen zu treffen.
Wie bereits deutlich erörtert war es ein schöner Tag in der Gegend Argonia Citys. Die pulsierende Stadt verfügte über allerlei Einrichtungen, unter anderem war auch die Reserve hier stationiert, um der Bevölkerung ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. In der Reserve hatte man allgemein ein leichtes Leben, man musste nur jeden Morgen pünktlich um fünf Uhr antreten, den Rest des Tages hatte man frei, nur ab und zu war man dazu verdonnert, Wache zu halten und oder irgendetwas sauber zu schrubben...
Auf einem Hügel unfern der Stadt wehte ein Picknicktuch sanft im erfrischenden Wind, allerlei Leckereien waren hier aufgetürmt und ein großer knallgelber Sonnenschirm schützte vor allzu viel Wärme. Generell erwartet man an solch einem Plätzchen ein schmusendes Liebespaar, doch hier...
„Schachmatt“, sagte Tatutpamanckan. „Gleichfalls“, sagte Manckonnos.
Die beiden Paraniden spielten Schach, und zwar auf drei Brettern zugleich, wie könnte es anders sein? Sie gehörten nicht nur zu jenen wenigen Paraniden, die sich hinsetzten, sie waren auch um einiges geselliger als ihre fernen Kollegen, denn die beiden hatten schon lange als Söldner auf Argon Prime gelebt – zwanzig Jahre hatten sie herumgestanden, aber irgendwann setzt sich auch der härteste Paranide, sei es auch nur, um ein paar Leute zu erschrecken. Während Manckonnos ein paar zuckerüberzogene Donuts verschlang, nahm Tatutpamanckan einen genüsslichen Schluck Mingbaumpastetentee zu sich.
Ein Bote eilte auf einem Fahrrad herbei, da er bergauf gefahren war, schnaufte er ein wenig. „Hochwürden Tatutpamanckan und Hochwürden Manckonnos?“, fragte er, um sicher zu gehen. Die anderen Reservisten hatten ihn hierher gesandt.
„Gewiss, mein unlustiger fellbezogener Freund“, sagte Manckonnos. Er war von Boronen aufgezogen worden... ein sehr kompliziertes Unterfangen, das einen sehr komplizierten Charakter hervorgebracht hatte.
„Nun, dann habe ich eine Nachricht für euch. Ihr sollt euch bis heute Abend in Dokre einfinden, das Raumdock am Stadtrand, ihr wisst schon – seid um Punkt 20 Uhr auf dem Dach. Die Nachricht kommt von Admiral Yong... schönen Tag noch.“
Mit diesen Worten verschwand er wieder und raste auf dem Fahrrad den Berg hinab.
„Klingt nach einem Abenteuer“, sagte Tatutpamanckan gelassen.
„Ob es lustig bunt wird?“, fragte sich Manckonnos.
„Das werden wir sehen... und ich habe das Gefühl, du bist in zwei Runden wieder Matt gesetzt.“
Eine Kaserne der Reserve befand sich ebenfalls nahe der Stadt, man musste keine zehn Minuten zu Fuß gehen, um sie zu erreichen. Hier standen mehrere Baracken auf einem Zementfeld, ein paar kleine Zelte waren aufgebaut und das Gelände war von einer gut drei Meter hohen Steinmauer umgeben, auf der hin und wieder ein paar Wachen patrouillierten, weiterhin gab es in zwei gegenüberliegenden Ecken des Geländes hölzerne Wachtürme und direkt neben dem Lager befanden sich ein Hangar und ein altmodisches Flugfeld.
Ein etwas älterer Splitsöldner saß auf einem Liegestuhl mitten in der Kaserne und genoss die Sonne. Phates war sein Name, er war für die Ausbildung neuer Soldaten zuständig, die hier gelegentlich eintrudelten. Heute Morgen waren vier weitere Splitsöldner gekommen, er hatte sie noch nicht näher angesehen, aber es waren immerhin Split, die Ausbildung würde höchstens ein paar Tage dauern.
„Ich habe hier einen Befehl von Admiral Yong für sie“, sagte ein Bote, der sich langsam an den Krieger heranschlich.
„Ich höre“, sagte der Split ruhig und wandte seinen Blick nicht von der Schäfchenwolke ab, die er seit Stunden konzentriert beobachtete – er würde nicht weichen in diesem Duell der Ausdauer.
„Phates t´Rssg, sie sollen heute Abend mit ihren vier neuen Rekruten im Dokre erscheinen, seien sie um 20 Uhr auf dem Dach des Gebäudes. Ein fünfter Rekrut wird ihrem Kommando unterstellt sein, aber über den weiß ich nichts... ich muss weiter.“
Ohne Verabschiedung wanderte der Bote in Richtung des Flugfeldes. Phates wartete regungslos noch gut drei Stunden, bis die Wolke endlich wich, und sah dann nach seinen vier Soldaten, die sich in eine der Holzbaracken verkrochen hatte.
„Söldner, wir ziehen heute Abend los in... die... was zum...?“
Ein weißer benebelnder Dunst lag in der Luft, Duft von Kirschbaumblüten haftete an allem, mehrere Blumenkränze hingen an der Wand und inmitten all dessen saßen vier Split und spielten Karten.
„Recor, Zhaa, Saphom, Theth! Was glaubt ihr, was das hier ist?!“
Die vier Split sahen ihn benebelt an. „Ist was, Chef?“, fragte einer grinsend.
Phates war leicht schockiert, so ein Verhalten hatte er von Boronen erwartet, aber nicht von... er ließ den Kopf sinken und suchte sich eine weitere Wolke, eigentlich war es doch egal. Hatte er halt pazifistische Söldner, was soll´s…
Auf dem Flugfeld war nichts los, ein Mann saß auf einer kleinen Steinmauer am Rande und döste vor sich hin, er war Staffelführer Mountanna, seine beiden Piloten saßen unten im Gras und schienen zu schlafen.
„Die Herren Montanna, Indir und Lichtfeld?“, fragte jener Bote, der heute schon ziemlich weit herumgekommen war. Niemand antwortete ihm.
„Mountanne, Indir und Lichtfeld?!“, fragte er etwas lauter, doch wieder antwortete niemand. Er hob einen kleinen Kiesel vom Boden auf und schmiss ihn dem Staffelführer an den Kopf, der fiel um wie ein nasser Sack und landete auf der anderen Seite der kleinen Mauer, reagierte weiterhin auf nichts. Die Nachricht wurde ihm darauf hin schlicht an die Stirn getackert.
Weitere drei Piloten wurden per Mail gerufen. Generell hätte man alle so gerufen, doch nur diese drei waren in einer Kaserne eingeteilt, die auch über einen Internetanschluss verfügte.
Nachdem all diese Reservisten wieder in den Dienst gerufen waren und man noch ein paar weitere Besatzungsmitglieder für das Schiff angeheuert hatte, ging die Sonne auch schon langsam unter und die neue Crew machte sich mit ihrem Gepäck auf dem Weg ins Dokre. Dieses Raumdock wurde generell nur für kleinere Privatflieger und Truppentransporte genutzt, doch war es das Einzige weit und breit, an dem noch ein Schiff älterer Klassen andocken konnte, sodass man hier demnächst die erneute Jungfernfahrt des restaurierten Raumschiffes bewundern konnte.
Irgendwo in den Straßen Argonia Citys rannte jener Bote umher, der noch immer nach den letzten Crewmitgliedern suchte. Gegen halb Acht, die Sonne war beinahe verschwunden und warf nur noch schwaches Licht, während sich langsam die Straßenbeleuchtungen einschalteten, brach plötzlich ein lautes Alarmsignal los, das man seit Ewigkeiten nicht mehr gehört hatte. Gigantische Sirenen heulten auf, die Menschen blieben verwirrt auf der Straße stehen und horchten, einige hechteten aus ihren Gleiter und rannten ziellos fort, andere blieben ruhig und warteten ab, wieder andere stahlen die zurückgelassenen Gleiter.
Niemand konnte ernsthaft etwas mit dem Alarmsignal anfangen, einige dachten an Fliegeralarm, andere spähten nach den Reitern der Apokalypse.
„Achtung, Achtung! Hier spricht die Polizei. Bitte bewahren sie Ruhe und verlassen sie langsam und geordnet den Bereich nahe der militärischen Raumdocks! Der Sicherheitsdienst wird das Gelände weiträumig absperren, räumen sie das Gelände unverzüglich!“
Diese Worte kamen aus der Lautsprechanlage eines Polizeigleiters, der weit oberhalb des Verkehrs flog und so dem Stau entgehen konnte. Der Aufruf zur Ruhe war sinnlos, alle rannten panisch fort und die Ereignisse überschlugen sich, auch die Flughöhe wurde nicht mehr eingehalten, Gleiter verschwanden nach oben oder schlängelten sich unter dem Verkehr durch, beinahe im Sekundentakt krachte es irgendwo in den Straßen der Stadt.
Nur wenige Leute blieben ruhig – einige wenige gingen gar zum Dock.
„Und jetzt? Was sollen wir tun?“, fragte eine junge Dame in dunkelblauer Militäruniform, ihr langes braunes Haar wehte im Wind einiger vorbeirasenden Gleiter. Sie war ebenso wie ihr Gegenüber mit einigen schweren Koffern bepackt.
„Wir werden hingehen! Schließlich sind wir Soldaten im Namen Argons, was auch immer dort ist, wir werden behilflich sein, das Problem zu lösen!“, rief der hochgewachsene Mann einer unsichtbaren Menge zu, obwohl er eigentlich nur mit jener Frau sprach. Er trug eine weiße Uniform, wie es nicht gerade üblich war. Die beiden machten sich sodann auf den Weg zum Dokre, allen Gefahren zum Trotz.
Aus einer anderen Richtung schritt ein griesgrämiger Teladi ebenfalls in Richtung des Docks, er schleifte einen Boronen in Umweltanzug hinter sich her, die beiden schienen sich irgendwoher zu kennen, sonst wären sie nicht so spröde miteinander umgegangen.
„Wir sollten das Gebiet räumen und verlassen“, fiepte der Borone herrisch und versuchte, in die entgegengesetzte Richtung zu gehen, doch der Teladi hielt ihn fest und schritt stur weiter aufs Dock zu.
Das Dokre selbst war ein hohes halb ovales, halb flaches Gebäude, dessen Dach in eine riesige Platte überging. Es gehörte zu den niedrigeren Raumdocks und erstreckte sich kaum hundert Meter in den Himmel, weshalb hier generell nur kleinere Raumschiffe starteten oder landeten. Normalerweise wuselten hier viele Menschen umher, oft waren auch außerirdische Touristen in der Menge zu finden, heute war beinahe niemand hier, ein paar Polizisten sperrten das Gelände gerade mit gelbem Klebeband ab, einige Straßen weiter errichtete der Sicherheitsdienst größere Sperren.
„Halt, sie dürfen hier nicht durch!“, rief einer der Polizisten, als ein höchst skurriler Mann passieren wollte. Der Fremde wirkte wie der Kapitän eines kleinen Fischerbootes, sein Gesicht war mit einem riesigen schwarzen Bart zugewachsen und er trug eine Kapitänsmütze, jedoch keine blaue, sondern eine dunkelrote Uniform, es gab jedoch keine Vereinigung, die solche Klamotten vorschrieb oder erlaubte. Zu allem Überfluss hatte er auch noch ein Rapier links an seiner Hüfte befestigt, als sei er ein Pirat.
„Geht schon klar“, sagte der Bärtige. „Ich bin Ban Danna.“
Der Polizist sah verwirrt, wie der Mann über die Absperrung sprang und dann gemütlich weiter ging, als sei nichts passiert.
„Ban Danna…“, hauchte der Polizist beeindruckt. Schon wenige Sekunden später kam ein Mann in blauer Uniform und mit weißem Bart des Weges.
„Sie dürfen nicht passieren“, sagte der Polizist abermals.
„Geht schon klar, Ban Danna mein Name.“
Der Polizist nahm sein Gewehr zur Hand. „Sie sind festgenommen – Mister Danna ist schon durch, sie können sich nicht als er ausgeben!“
„Aber…“
„Ruhe!“
Das Dokre war nun endgültig weitläufig abgeriegelt, nur wenige hatten sich hereinschummeln können. Hinter einer provisorischen Wand, die vor Kugelhagel aus dem Dock schützen sollte und aus zwei gestapelten Gleitern bestand, war ein Tisch aufgestellt worden, auf dem allerlei technische Geräte standen. Der Polizeichef und einige Sicherheitstruppen waren hier, man hatte zudem einige Scharfschützen aufstellen lassen. Eine Frau mit langen braunen Haaren und ein Riese in weißer Uniform standen ebenfalls hinter den Gleitern.
„Was ist denn geschehen?“, fragte die Frau.
„Pst!“, fauchte der Polizeichef – die beiden hätten gar nicht hier sein sollen! Er setzte sich wieder konzentriert an seinen Bildschirm und holte ein paar Statusberichte der überwachenden Truppen ein, als plötzlich eine Hand auf seine Schulter fasste.
„Moin Moin“, grüßte ein rot Uniformierter. „Man hat mich gerufen.“
Der Polizeichef schreckte auf und fiel zu Boden, das Telefon auf dem Tisch begann zu läuten. Der Rote nahm ab.
„Ja, was gibt´s?“, fragte er. Der Polizeichef fluchte und stellte dann das Telefon auf laut.
„Hier sind die Geiselnehmer“, hörten die vier Anwesenden eine verschwommene Stimme. „Wir haben soeben Admiral Yong gefesselt, er ist in unserer Gewalt – passen sie auf, was sie tun! Wir haben eine Bombe!“
„Was wollt ihr denn?“, fragte der falsche Danna.
„Wir fordern, dass man zwanzig Millionen Credits an Sektor 21 überweist und uns ein Kriegsschiff überlässt!“
Der Polizeichef nickte heftig, er wollte auf diese Forderung eingehen, wenn auch nur als Trick, doch der Bärtige sagte schlicht „Nein, so viel haben wir nicht.“ und legte auf.
Der Polizeichef zitterte am ganzen Körper. „Idiot!“, fauchte er und riss den Hörer an sich, doch die Verbindung war schon gekappt.
„Ist doch wahr, oder?“, fragte der Rote.
Der Polizeichef hätte ihm noch so einiges zu erzählen gehabt, doch in diesem Moment rief die Brünette „Da!“ und deutete auf den Spalt zwischen den beiden Gleitern. Ein Teladi hielt einen Boronen am Tentakel fest und marschierte mit ihm geradewegs auf das Dokre zu, hämmerte zweimal mit der Faust gegen die Glastür und öffnete dann selbst, ging hinein.
Der Polizeichef stand kurz vor einem nervlichen Zusammenbruch, der Rote hingegen zuckte schlicht mit den Schultern und ging auch ins Dokre. Gerade, als er die Tür erreichte, verschloss sie sich automatisch, irgendjemand dort drinnen musste den passenden Schalter gefunden haben.
„Hm…“, sagte er nachdenklich.
„Willst du da rein?“, fragte ihn ein stämmiger Paranide, der ihm auf die Schulter klopfte. Ein zweiter Paranide stand neben ihm, er war etwas kleiner und schleppte ein paar Koffer und einen Sonnenschirm mit sich herum.
„Wäre nett“, sagte der Rote und ging einen Schritt zurück. Der Paranide holte aus und schlug die Tür schlicht ein, alle drei betraten darauf hin das Gebäude und gingen schnurstracks nach oben.
„Ob das ein gutes Omen für die unsere Situation ist?“, fragte der Weiße, der noch immer beim Polizeichef stand – der war jedoch voll damit beschäftigt zu hyperventilieren.
Der Teladi erreichte das Dach des Gebäudes, den Boronen fest im Arm. Admiral Yong stand emotionslos in der Mitte, seine Hände waren auf dem Rücken zusammengebunden, hinter ihm richtete ein vermummter Terrorist ein Gewehr auf ihn, drei Zivilisten lagen gefesselt daneben und einige Sektor 21 Aktivisten hatten hier oben Stellung bezogen, doch die meisten waren unten im Kontrollraum oder an Fenstern in Position gegangen – niemand erwartete, dass jemand durch das Treppenhaus kommt!
„Was tust du hier?“, kreischte der Terrorist.
„Ich komme wegen dieses Schiffes da“, sagte der Teladi und deutete auf den frisch restaurierten Raumer, der gut ein Drittel der Landefläche in Anspruch nahm – er stand auf ausgeklappten Reifen. Erst langsam dämmerte dem Teladi, was hier vor sich ging.
„Das da haben wir geentert“, sagte der Terrorist lachend.
„Oh… ja dann…“, meinte der Teladi und wollte schon wieder gehen, er schien es sogar ziemlich eilig zu haben, doch von unten kam ein anderer Terrorist die Treppe hoch und hielt ihm ein Gewehr unter die Nase.
„Ich glaube und meine, wir bleiben und verweilen doch noch ein wenig…“, fiepte der Borone.
Mittlerweile hatten sich drei weitere verschlafene Herren und drei weitere Damen beim Polizeichef gesammelt, der langsam aber sicher vorm Kollaps stand. Das Telefon klingelte, er nahm ab.
„Ja?“
„Ihr habt uns offenbar noch ein paar weitere Geiseln geschickt, was? Eure Spezialagenten wurden dingfest gemacht und… was zum AAAARGARHGAH!“, kreischte der Terrorist, dann hörte man einen Schlag und jemand anderes kam an den Hörer.
„Tatutpamanckan hier… den Titel spare ich mir ausnahmsweise. Ich glaube, wir haben soweit alles gesäubert…“
Eine Kugel schoss ihm das Telefon aus der Hand, ein weiterer Terrorist war die Treppe hoch gekommen. Der Rote befreite dessen ungeachtet den Admiral und schien sich nett mit ihm zu unterhalten.
Tatutpamanckan wollte dem neuen Angreifer auch direkt eine scheuern, doch der hielt selbstbewusst eine kleine Kugel hoch. „Ich habe eine Bombe!“, schrie er.
Der Paranide rollte synchron mit allen drei Augen.
Jener Polizeichef ging davon aus, dass der Paranide einige Leute da oben überrascht hatte und wollte direkt die nächste Überraschung nachlegen. „Gebäude stürmen!“, schrie er und nahm seine Pistole zur Hand, gut zwanzig Scharfschützen tauchten aus dem Nichts auf und rannten zum Eingang. Jene Gruppe, die sich gerade noch an der Telefonzentrale befand, marschierte gemütlich hinterher.
„Hat hier jemand Stürmen gesagt?“, fragte sich ein Split, der mit seinen vier Mannen gerade vorbeikam. „Leute – wir stürmen auch!“, befahl er. Urplötzlich rannten die fünf mit Kampfgeschrei los und nahmen das Gebäude ein.
Kaum hatten sie das Gebäude betreten, splitterten ein paar Fensterscheiben und vermummte Gestalten wurden hinausgeschleudert, landeten hart auf dem Asphalt. Langsam aber sicher splitterten auch Fenster in höheren Stockwerken und man konnte von draußen verfolgen, wo in etwa die Split gerade sein mussten.
Ein Teladi in schwarzen Ninjaanzug kam gerade die Straße entlang und betrat dann auch gelassen das Gebäude, ohne der Situation irgendeine Beachtung zu schenken.
Etwa zwei Minuten später waren alle oben, Polizeikräfte, Split, Soldaten, Chefs, der Rote, der Weiße, Paraniden, alle waren sie versammelt, und alle standen sie an der Wand eines kleinen Transporters, während man Gewehre auf sie richtete und ein Terrorist etwas weiter hinten immer noch bedrohlich mit der Bombe herumspielte.
„Also, wo bleibt das Geld?“, fragte ein Terrorist.
„Nun... es gibt da ein Problem“, sagte der Polizeichef zögernd. „Alle Polizisten dieses Einsatzes stehen gerade auf diesem Dach... sie können mit niemandem verhandeln, wenn sie nicht ein paar von uns frei lassen...“
„Dass ich nicht lache!“, schnaufte der Vermummte. „Je mehr Geiseln, desto mehr Geld!“
„Warum tut ihr das?“, fragte der Rote beiläufig.
„Sektor 21 wird die einflussreichste Organisation aller Zeiten werden, und jetzt halt die Klappe!“, fauchte der Vermummte.
„Aber wenn ihr die Bombe hochgehen lasst, dann bekommt Sektor 21 gar nichts“, sagte der Rote.
„Höret ihr diese Schritte?“, kreischte der in weiß. „Das ist euer Ende, das langsam kommt!“ Er tat so, als hätte er einen Säbel gezogen, tatsächlich war es nur ein Holzstock, der sich irgendwie auf den Boden dieses Landeplatzes verirrt hatte.
Der Rote zog seinen Degen, er hatte tatsächlich einen.
„Das ist nicht schlau“, erwähnte der Mann mit der Bombe und plötzlich steckten beide ihre teils improvisierten Waffen zurück, der in weiß grimmig, der in rot elegant und gleichgültig.
Admiral Yong sah ein wenig angespannt aus und überblickte die Anwesenden, als würde er jemanden suchen und nicht finden können...
Irgendwo weit entfernt tönte eine große Uhr – es war Punkt Acht, eigentlich hätte die Crew erst jetzt hier sein müssen. Die Dachluke sprang auf.
„Was ist das?“, fragte ein Teladi in schwarzen Klamotten, der gerade erst angekommen war, und riss dem Bomber die kleine Kugel aus der Hand.
Der Vermummte sah ihn schockiert an.
„Das ist eine, äh… ein Spielzeug, kann ich es zurückhaben?“
Der Teladi sah ihn schief an, holte aus und warf die Kugel über den Rand der Plattform. „Wir haben keine Zeit zum Spielen“, sagte er. „Bald fliege ich hier mit einem Schiff ab, da kann ich euch nicht gebrauchen.“
„Ich liebe pünktliche Soldaten!“, triumphierte der Admiral. „Auf die Sekunde!“
Plötzlich wurden die Sicherheitskräfte wieder aktiv. Der Polizeichef grinste.
„Auf siiiiiiie!!“
Während die Vermummten noch schockiert starrten, fielen ihnen die Polizisten in den Rücken und rammten sie um, in Windeseile waren die verblüfften Terroristen entwaffnet, dann schlug man noch ein wenig grundlos auf sie ein.
„Unglaublich, immer diese Bürokraten, von wegen nicht Ban Danna, ich weiß ja wohl noch, wie ich heiße, diese verdammten...“, murmelte Ban Danna vor sich hin, er war nur kurz vor dem Dokre. Plötzlich fiel ihm etwas am Himmel auf, er sah verwirrt nach oben, eine kleine Kugel fiel herunter und donnerte gegen seinen Schädel, er fiel wie betäubt um, das Kügelchen sprang wie auf einem Trampolin noch einmal hoch und landete dann einige Meter neben dem bewusstlosen Ban...
Oben war der Kampf vorbei, die S21 waren entwaffnet und gefesselt, die Geiseln waren befreit und die herbeorderte Crew war mit dem Ninja endlich vollständig. Admiral Yong überreichte den Crewmitgliedern die Schlüssel zu ihren Zimmern, sie würden diese Nacht im Dokre verbringen, erst am nächsten Morgen würde er alle Mannschaftsmitglieder miteinander bekannt machen, dann waren da noch die Schiffstaufe und der Abflug natürlich auch… aber das hatte Zeit.
Eine obskure Gestalt schob sich die Treppen hoch und erreichte das Dach, zerfetzte Kleidung hing an ihr herab, sie schien ein wenig kraftlos und Ruß oder Teer klebte an ihrer Haut, die Haare waren zu einer Mähne ausgestellt.
„Ban Danna hier…“, flüsterte er. „Die Situation ist unter Kontrolle! Terroristen, ergebt euch!“
Sein Blick wanderte in Richtung Boden, er sah die Terroristen, die von Polizeikräften festgehalten wurden.
„Und wieder hat Ban Danna den Tag gerettet“, hustete er.