[Roman] Nod - Jenseits der Erde

Der kleine Teladi aus dem X-Universum hat Gesellschaft bekommen - hier dreht sich jetzt auch alles um das, was die kreativen Köpfe unserer Community geschaffen haben.

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Boro Pi
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Bumm Bumm Bumper

Post by Boro Pi » Wed, 7. Aug 13, 22:52

So, ich bin im Nach-Hinten-Schieben von Erscheinungsterminen zwar mindestens so gut wie Egosoft - wenn nicht besser* - aber ich denke, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um das hier wieder aufzuwärmen, denn...

...die Geschichte ist fertig! Ich möchte mich jetzt nur noch einige Tage auf akribische Fehlersuche begeben und werde sie dann Ende des Monats online stellen. Es sind nicht ganz die 300 Seiten geworden, die ich erst veranschlagt habe, sondern nur 280, aber ich denke, Ihr kommt auch damit zu recht. :wink:

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kammerjäger
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Post by kammerjäger » Wed, 7. Aug 13, 23:37

Es sind nicht ganz die 300 Seiten geworden, die ich erst veranschlagt habe, sondern nur 280, aber ich denke, Ihr kommt auch damit zu recht. Wink
Nur 280 Seiten? Ist ja furchtbar kurz... :D
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clakclak
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Re: Bumm Bumm Bumper

Post by clakclak » Thu, 8. Aug 13, 01:21

Boro Pi wrote:sondern nur 280, aber ich denke, Ihr kommt auch damit zu recht. :wink:
Ich habe auch schonmal 280 Seiten geschrieben........in dem Zeitraum von der fünften bis zur dreizehnten Klasse! Ich glaub ich werde diese Geschichte drucken und binden lassen bevor ich sie lese.

Ich fand es erstaunlich wie die mich schon mit ein paar zusammenhangslosen Zeilen zum lachen gebracht hast. Freu mich auf jeden Fall auf alles was da noch kommt!!! :D :D :D

Glumski
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Post by Glumski » Fri, 9. Aug 13, 15:06

Also ich melde mich gerne freiwillig, auch die nicht korrekturgelesene Geschichte zu lesen. Um dir zu helfen, natürlich. Nicht aus irgendwelchen anderen Gründen. *hust* :D

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Loyalitäten

Post by Boro Pi » Fri, 9. Aug 13, 18:43

Ah, schön zu sehen, dass es Dich auch noch gibt. :wink:

4of25[FUP]
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Re: Bumm Bumm Bumper

Post by 4of25[FUP] » Mon, 12. Aug 13, 22:03

Boro Pi wrote:So, ich bin im Nach-Hinten-Schieben von Erscheinungsterminen zwar mindestens so gut wie Egosoft - wenn nicht besser* - aber ich denke, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um das hier wieder aufzuwärmen, denn...

...die Geschichte ist fertig! Ich möchte mich jetzt nur noch einige Tage auf akribische Fehlersuche begeben und werde sie dann Ende des Monats online stellen. Es sind nicht ganz die 300 Seiten geworden, die ich erst veranschlagt habe, sondern nur 280, aber ich denke, Ihr kommt auch damit zu recht. :wink:

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Keine Sorge du bist im aufschieben der Allergrößte^^ Obwohl ich versuche den Abstand zu verkürzen.
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Nodzeit

Post by Boro Pi » Sat, 31. Aug 13, 23:12

Ja, es ist vollbracht! Ich bin endlich (so was von) fertig!

Mein neuer X-Roman ist da (es sind dann doch noch fast 300 Seiten geworden):

NOD - Jenseits der Erde...*

Aber so neu ist er gewissermaßen gar nicht, sondern alt und vergangen. Wie das? Nun, die Handlung spielt in der Vergangenheit. Ihr werdet weit zurück in der Geschichte des X-Universums einsteigen. Lange vor Rebirth, lange vor Terran Conflict, ja sogar lange vor X-Beyond the Frontier. Nod ist ein Roman, der wenige Jahre nach der Boronschlacht angesiedelt ist und Euch ein Universum zeigt, dass erst noch zu dem werden muss, das Ihr kennen und lieben gelernt habt.

Ein X-Universum noch ohne Teladi und natürlich ohne Kha'ak. Ein Universum, in dem die Argon Föderation noch im Aufbau begriffen ist und die Split von Bürgerkriegen zerrissen werden. Alles ist in Bewegung, die Reste irdischer Kultur und Erinnerung kollidieren zunehmend mit dem aufkeimenden argonischen Selbstverständnis und dem neuen argonischen Lebensstil. In diesem Zwiespalt werden aus den Gonern wichtige Akteure, deren Einsatz über den weiteren Weg der Menschheit entscheiden muss.
Klappentext wrote:Das X-Universum 400 Jahre vor der Wiederentdeckung der Erde. Der blutige Krieg zwischen den Spezies ist endlich beendet und einem brüchigen Frieden gewichen. Doch mit den Wegfall äußerer Bedrohungen treten Misstrauen und Hader zwischen den menschlichen Kolonien nur noch deutlicher zu Tage. Während die Spannungen zunehmen, sucht eine unerwartete Krise den Planeten Argon Prime heim und macht die Gefahr eines Bruderkrieges größer als jemals zuvor. Nur eine kleine Gruppe von Gonern könnte dies noch verhindern. In einer Zeit, in der kaum noch ein Mensch an die Existenz der mythischen Heimatwelt glaubt, müssen sie ein vergessenes Raumschiff aufspüren, das dereinst von der Erde gestartet worden sein soll. Gejagt von Maschinenwesen, Außerirdischen und Piraten machen sie sich auf dem Weg, um die Welt der Kolonialplaneten zu retten:

NOD - Das Land jenseits der Erde
Und wenn ich schon einmal dabei bin, Euch neugierig zu machen: Das Dramatis Personae. Für alle, die sich überraschen lassen wollen, als Spoiler:
Spoiler
Show
Schmuggler und Piraten
Samuel Gad Greenwald – Schmuggler
André „Le Requin“ Renard – Anführer der Piraten von Heimat des Lichts
Aki Tom Mazuko – Kopfgeldjäger
Trakh und Zha – Zwei Splitbrüder, Le Requins Leibwächter
Jako – Pirat
Jorge – Eine Legende

Goner und Kirchenvertreter
Pietro Dusic – Hüter der Wahrheit und christlicher Priester
Niklas Rider – Sein Assistent
Gran t'Nnk – Angehender Hüter, zum Christentum konvertierter Split
Fran Foster – Oberster Hüter der Wahrheit
Achrisa Mbombazi – Hüterin der Wahrheit
Vrederik – Christlicher Priester
Sarah B. Greenwald – Hüterin der Wahrheit, Samuels Mutter

Aldrianer
Anthea Demetres – Gouverneurin des Freistaats Solara
Stacia Dubranchowa – Ihre Assistentin
Jules Favino – Antheas politischer Gegner
Toki Reeve – Wissenschaftler
Rolf Mortensen – Noch ein Wissenschaftler
Mari Hendersna – Kabarettistin
Calon Collard – Geheimagent
Schneider – Vizeraummarschall

Argonen
Iaron Yates – CEO des Konzerns DelexCrops
Jack Luvis – Sein Stellvertreter
Frank U. Doreaan – Präsident der Föderation
Zyklos „der Wettergott“ Vantera – Landwirtschaftsminister von Argon Prime
Flot Halter – Bundeskanzler der Drei Welten
„Der Captain“ - Ein rätselhafter Strippenzieher

Außerirdische
Ironkh t'Frrg – Familienoberhaupt
Ochir t'Nrrl – Sein Feind
Lar Binareen – Eine Botschafterin

und
eine geheimnisvolle alte Frau
Also, viel Spaß!

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Noch mehr von Boro Pi:
Todeshauch*
Kurzgeschichten*

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Post by clakclak » Wed, 18. Sep 13, 22:27

Ich hab erst jetzt gesehen, dass du den ganzen Roman schon veröffentlicht hast. Ich freu mich drauf. Es ist auch sehr praktisch das du das ganze als PDF hochgeladen hast. :D Ich werde die Geschichte einfach auf mein Handy ziehen dann hab ich was für unterwegs. :)

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Post by kammerjäger » Wed, 18. Sep 13, 22:48

Aber ich bin zuversichtlich, Euch den Lesern dennoch ein
gutes Lesevergnügen bereitet zu haben.
Ja, und ja. :D

Nein, ganz ehrlich, die Geschichte (Geschichte ist es ja kaum noch, hat ja schon den Umfang eines Buches) liest sich sehr gut. Ich finde es toll, wenn sich jemand die Zeit nimmt, um so etwas auf die Beine zu stellen.

Was ich ebenfalls toll finde ist, dass ich einmal eine Rezension zu einem deiner Werke schreiben kann. :wink:

Was mir sehr gut gefallen hat:
- Die Geschichte liest sich sehr flüssig (bis auf ein paar Schachtelsätze, die evtl. einen Punkt vertragen hätten)
- Die vielen Anlehnungen an die X-Bücher
- Es ist das Meiste sehr logisch, große Logiklücken konnte ich nicht feststellen. (Die Sache mit dem synthetischen 'Salz' oder dass ein Tor nur mit einem Sprengsatz geöffnet werden kann)
- Rechtschreib- und Grammatikfehler sind mir jetzt nicht aufgefallen (Was mich jetzt auch nicht großartig wundert)

Was mich gestört hat:
- Kapitel 14: Zuerst ist von der Geschichte der Boronen die Rede, dann springt das Geschehen ohne erkennbaren Übergang in die Gegenwart über. Das fand ich etwas verwirrend.
- Du erklärst alles sehr genau und nachvollziehbar, so dass wirklich jeder genau verstehen kann, was du meinst. Das finde ich insofern nicht so gut, weil es
1. den Lesefluss etwas bremst, wenn viele Erklärungen notwenig sind
2. zu wenig zum denken anregt. Das mag jetzt subjektiv sein (ist eine Rezension ja immer irgendwie...), aber ich fand zu sehr aufbereitet. So dass es auch wirklich jeder sfort versteht.
- Samuel, der ja die Hauptfigur darstellt, ist irgendwie immer dabei, aber nie wirklich im Vordergrund. Das hat mich etwas gestört, denn er ist ein sehr interessanter Charakter (ich mag das zynisch kritische)

Schlussendlich wiegen aber die genannten Kritikpunkte nicht schwer und ich finde, dass es eine gute Geschichte ist.
Ich bin mir sicher, dass es eine Menge Arbeit war, sie zu schreiben (insbesondere weil sehr viele Bezüge auf die X-Bücher und weil sehr viele Überlegungen in dem Text stecken - bezüglich Religion usw.)

Ja, das war's eigentlich fürs Erste von mir.
Danke für ein paar kurzweilige Stunden. Ich gehe jetzt mal deine anderen Geschichten lesen... :D

mfg
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Ban
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Post by Ban » Thu, 19. Sep 13, 13:28

Dann will ich mal dem Vorbild meiner Vorposter folgen und auch - endlich - eine Beurteilung des Romans verfassen, nachdem ich eben dies schon seit einiger Zeit erfolgreich aufgeschoben habe. Diese Beurteilung wird hierbei in zwei Teilen erfolgen, namentlich dem formalen (oder sprachlichen) und dem inhaltlichen Teil, wobei letzterer in Spoilern verborgen werden wird, um etwaigen zukünftigen Lesern nicht zu viel zu verraten.

Der genannte erste Teil, Sprache und Formalia, fällt - vermutlich erwartungsgemäß - übersichtlich aus und beschränkt sich vornehmlich auf zwei Aspekte. Der erste ist das Wort "indes", welches im Verlauf des Romans sehr (und damit meines Erachtens zu) häufig und teilweise auch unpassend verwendet wird. Es erzeugte beim Lesen bisweilen den Eindruck eines Sprachticks, womit es gerechtfertigt gewesen wäre, hätte sich die Verwendung auf einen Charakter beschränkt, was jedoch nicht der Fall war. Der zweite Aspekt indes ist die Anrede in der wörtlichen Rede, die zwar nicht immer, aber doch regelmäßig kleingeschrieben ("sie", "ihnen") war, obwohl die Person förmlich angeredet wurde, also "Sie" beziehungsweise "Ihnen" hätte verwendet werden müssen. Die Unterscheidung ist natürlich nicht nur sprachlich, sondern auch beim Verständnis relevant, gerade wenn komplizierte Satzkonstruktionen an der Tagesordnung sind.
Von diesen beiden Fällen abgesehen habe ich sprachlich und formal nur noch eine Kleinigkeit anzumerken: der Abstand zwischen den Seitenzahlen und der letzten Textzeile ist doch recht gering. Wahrlich nichts kritisches, aber eben formal nicht absolut einwandfrei. Aber es sollte auch anhand der vorgebrachten Kritikpunkte auffallen, dass hier auf einem hohen Niveau diskutiert wird.

Damit ist der erste Teil dann auch abgeschlossen, so dass nun auf den Inhalt eingegangen wird.
Spoiler
Show
Im Allgemeinen gilt, dass der Spannungsbogen eine 'angemessene' Geschwindigkeit hatte und dass sich die Handlung auf einem qualitativ ansehnlichen Niveau bewegt und entwickelt, so dass sich Nod an keiner Stelle wirklich in die Länge zieht und deshalb flüssig, schnell und interessant lesen lässt. Anders gesagt: als Geschichte in der Kreativen Zone definitiv zu empfehlen. Nichtsdestotrotz gibt es einige Punkte, auf die ich näher eingehen möchte.
An erster Stelle wäre dies der Auftritt der Kabarettistin, der in seiner Gänze zu sehr Politik und damit gewissermaßen zu wenig Kabarett ist, was jedoch mit Blick auf das politische Kabarett Deutschlands keine absolut unrealistische Konstallation darstellt. Dennoch erscheint es, als erhielte die Kabarett-Komponente mit Hinblick auf den Handlungszweck der entsprechenden Szene nur eine untergeordnete Bedeutung. Das jedoch kann natürlich auch gewollt sein, da die Kabarettistin ganz klar versucht, ein politisches und gesellschaftliches Argument vorzubringen, in welchem Fall meine Kritik dann mehr an die Kabarettistin als Charakter denn an den Autor gerichtet wäre.

Der zweite Punkt ist dann wieder allgemeinerer Natur und bezieht sich auf die Darstellung von Religion und Glauben, die zwar durch die Figur des Samuel Greenwald und gleichsam durch den ein oder anderen Politiker (oder Piraten) auch an der ein oder anderen Stelle kritisch betrachtet wird, aber letzten Endes im Rahmen der Handlung als positiver Einfluss wahrgenommen werden muss. Um es anders zu sagen: die Gläubigen (und wenn sie nur an die Erde glauben) sind in der Endbetrachtung die Guten - und die Ungläubigen sind potentiell die schlechteren Menschen, die Bösen, die Antagonisten. Andererseits ergibt sich dies quasi zwangsläufig aus der Handlung, die über das sie treibende Objekt diese Trennlinien quasi einfordert, indem sie jene Gläubigen, die ihren Glauben ernst nehmen und über ein Gewissen verfügen, auf eine Seite zwingt. Auch stellen die aus Aldrin stammenden Charaktere in diesem Kontext eine gewisse Anomalie dar, wenngleich dies partiell dadurch entwertet wird, dass Aldrin eine größere Nähe zur Erde aufweist und damit wieder in die Nähe dieses 'Glaubens' zu rücken ist. Das hat zwar keine direkte Auwirkung auf die Qualität der Geschichte, hinterlässt aber einen unangenehmen Nachgeschmack, der dadurch verstärkt oder geschwächt wird, dass die behandelte 'Religion' der Goner eine unweigerlich wahre Religion ist, womit eine grundsätzliche Annahme Gläubiger, nämlich, dass sie die Wahrheit kennen und die anderen nicht, über jeden Zweifel erhaben ist.
Es mag freilich auch sein, dass ich in diesen Aspekt sehr viel zu viel hinein interpretiere und dass dementsprechend die zu Beginn vermerkte Aufteilung schlicht die einfachste Auflösung der Frage, wie der Plot zu lösen ist, darstellt.

Der dritte Punkt - und der letzte, der Nod direkt betrifft -, gilt Niklas Rider. So sehr es auch schon relativ früh ersichtlich war, dass Rider mehr war, als er vorgab zu sein, und dass er sicherlich eine Loyalität zu jemand anderem als den Gonern hatte, so sehr die Enthüllung mit dem Auftritt des Kapitäns auch vorbereitet wurde, so enttäuschend waren die finale Auflösung und sein letzter Akt, selbst wenn man die Enthüllung der Existenz der Autochtonie gutheißt. Der Charakter hatte über den gesamten Roman hinweg relativ großes Geschick im Geheimhalten seiner wahren Identität und insbesondere im Überleben gezeigt, verfällt am Ende aber in diese geradezu stereotypische letzte Erklärung seines Plans, anstatt seine letzten verbleibenden Gegner einfach zu erschießen - er müsste es nicht einmal an der Stelle tun, wenn man es genau betrachtet. Das Trio hatte gerade einen Jäger erhalten, also ein bewaffnetes Schiff, und sie hätten die Fernsteuerung gehabt. Er hätte warten können, bis er der Wachhabende gewesen wäre, und die anderen beiden im Schlaf töten können. Stattdessen enthüllt er seine Identität in diesem kritischen Moment und hält erstmal eine Rede, obwohl Samuel das später betont, womit klar ist, dass es dir als Autor durchaus bewusst war. Ich muss sagen, dass ich entweder mehr Geschick oder weniger Verrat von Rider erwartet hatte; vornehmlich letzteres, weil es etwas zu viel Schauspielerei war, betrachtet man seine "wahren" Ansichten. Das ist tatsächlich mein größter Kritikpunkt an der Geschichte - es war ohne Frage eine unerwartete Wendung, aber eben auch eine - aus meiner Sicht - zweifelhafte.

Der vierte und letzte Punkt betrifft bestimmte Plotaspekte, namentlich die Ausgestaltung des Alten Volkes und die der Langlebigen, die bei jeder Erwähnung und Verwendung doch mehr wie Anomalien in der Handlung wirken und von dieser Handlung oftmals fast völlig losgelöst sind, damit im Grunde eine zweite Handlung darstellen, die die eigentliche, "normalere" Handlung stört. Allerdings sprichst du bei den Langlebigen die Problematiken, die sich aus ihnen geben, deutlich an und schaffst es, die beiden Langlebigen in die eigentliche Handlung einzubinden, so dass die Anomalie kleiner ausfällt und vornehmlich den Charakteren als Motivation dient.
Allerdings ist dies kein Vorwurf an dich, denn du greifst damit nur Eigenheiten und Besonderheiten, im Grunde sogar die Beschaffenheit dieses Universums auf, die dir von anderer Seite - namentlich von Helge - vorgegeben wurde. Und meine Kritik hier richtet sich nicht an deine Umsetzung - mit Ausnahme der zuvor genannten und positiven Bemerkungen bezüglich der Langlebigen -, sondern an die Vorgaben und Konzeptionen, die von Helge stammen. Dass ich sie hier erwähne, dient damit mehr der Vollständigkeit (und als Möglichkeit, deine Behandlung der Langlebigen-Problematik zu erwähnen) und dazu, meine Sicht auf das Werk besser einschätzen zu können.

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Ein Teil des Teils

Post by Boro Pi » Thu, 19. Sep 13, 19:05

Ah gut,

ich begann schon zu befürchten, es würde keiner mehr reagieren.
kammerjäger wrote:Bis auf ein paar Schachtelsätze, die evtl. einen Punkt vertragen hätten
Ja, ich versuche es zu reduzieren, aber es scheint unausrottbar in mir drin zu sein.
Rechtschreib- und Grammatikfehler sind mir jetzt nicht aufgefallen (Was mich jetzt auch nicht großartig wundert.
Das liegt weniger an mir als an den Korrekturlesern. Ich finde nur dann alle Fehler, wenn es nicht mein eigener Text ist.
Kapitel 14: Zuerst ist von der Geschichte der Boronen die Rede, dann springt das Geschehen ohne erkennbaren Übergang in die Gegenwart über. Das fand ich etwas verwirrend.
Die Idee war eigentlich eine Art Einleitung zu schreiben, die der Invasion der Split eine höhere Dramatik geben sollte. Insofern der Schnelldurchlauf durch die boronische Geschichte mit den Endpunkten "Erstkontakt mit den Split" und "Boronschlacht". Und ich gebe zu, die Einleitung sollte auch dazu dienen, das doch recht kurze Kapitel etwas mehr zu unterfüttern.
Du erklärst alles sehr genau und nachvollziehbar, so dass wirklich jeder genau verstehen kann, was du meinst. Das finde ich insofern nicht so gut, weil es
1. den Lesefluss etwas bremst, wenn viele Erklärungen notwenig sind
2. zu wenig zum denken anregt. Das mag jetzt subjektiv sein (ist eine Rezension ja immer irgendwie...), aber ich fand zu sehr aufbereitet. So dass es auch wirklich jeder sfort versteht.
Die Handlung von Nod ist recht kompliziert, deswegen habe ich durchaus bewusst etwas mehr erklärt. Gerade auch für den Fall, dass nicht jeder so einen Roman in einem Rutsch runterliest und sich dann wieder zurechtfinden muss. Aber gut, es mag sein, dass ich über das Ziel hinausgeschossen bin.
Samuel, der ja die Hauptfigur darstellt, ist irgendwie immer dabei, aber nie wirklich im Vordergrund. Das hat mich etwas gestört, denn er ist ein sehr interessanter Charakter (ich mag das zynisch kritische).
Das ist ein Phänomen der Überarbeitung. In den frühen Fassungen verloren sich die weiblichen Hauptfiguren fast schon in Statistenrollen. Da das aber Kanon-Figuren sind, gefiel mir das nicht so recht. Insofern gingen nach und nach zahlreiche Handlungen Samuels in die Initiative dieser beiden über. Und auch Gran sollte ja nicht nur die ganze Zeit zuschauen.
Ich gehe jetzt mal deine anderen Geschichten lesen... :D
Tu das, aber ich warne Dich, je älter die sind, desto schlechter werden sie. :wink:

Boro

PS: Bans Antwort kommentiere ich natürlich auch noch, habe jetzt allerdings nicht die Zeit dazu.

EDIT: Aber jetzt!
Ban wrote:Der zweite Aspekt indes ist die Anrede in der wörtlichen Rede, die zwar nicht immer, aber doch regelmäßig kleingeschrieben ("sie", "ihnen") war, obwohl die Person förmlich angeredet wurde, also "Sie" beziehungsweise "Ihnen" hätte verwendet werden müssen.
Ursprüchlich waren alle Anreden in der wörtlichen Rede groß. Allerdings beharrte einer meiner Probeleser darauf, dass man das nur in Briefen machen würde. Das erschien mir insofern logisch, als das ein Ausdruck von Höflichkeit ist, die man in der Rede nicht wiedergeben kann. Ich habe demgemäß dann alles in Kleinschreibung geändert - es aber eventuell hier und dort übersehen.
Spoiler
Show
An erster Stelle wäre dies der Auftritt der Kabarettistin.
Gut, nur werde ich das nicht an erster Stelle behandeln. Die Gründe dazu werden sich noch aufzeigen.

Der zweite Punkt ist dann wieder allgemeinerer Natur und bezieht sich auf die Darstellung von Religion und Glauben, die zwar durch die Figur des Samuel Greenwald und gleichsam durch den ein oder anderen Politiker (oder Piraten) auch an der ein oder anderen Stelle kritisch betrachtet wird, aber letzten Endes im Rahmen der Handlung als positiver Einfluss wahrgenommen werden muss. Um es anders zu sagen: die Gläubigen (und wenn sie nur an die Erde glauben) sind in der Endbetrachtung die Guten - und die Ungläubigen sind potentiell die schlechteren Menschen, die Bösen, die Antagonisten. Andererseits ergibt sich dies quasi zwangsläufig aus der Handlung, die über das sie treibende Objekt diese Trennlinien quasi einfordert, indem sie jene Gläubigen, die ihren Glauben ernst nehmen und über ein Gewissen verfügen, auf eine Seite zwingt. Auch stellen die aus Aldrin stammenden Charaktere in diesem Kontext eine gewisse Anomalie dar, wenngleich dies partiell dadurch entwertet wird, dass Aldrin eine größere Nähe zur Erde aufweist und damit wieder in die Nähe dieses 'Glaubens' zu rücken ist. Das hat zwar keine direkte Auwirkung auf die Qualität der Geschichte, hinterlässt aber einen unangenehmen Nachgeschmack, der dadurch verstärkt oder geschwächt wird, dass die behandelte 'Religion' der Goner eine unweigerlich wahre Religion ist, womit eine grundsätzliche Annahme Gläubiger, nämlich, dass sie die Wahrheit kennen und die anderen nicht, über jeden Zweifel erhaben ist.
Es mag freilich auch sein, dass ich in diesen Aspekt sehr viel zu viel hinein interpretiere und dass dementsprechend die zu Beginn vermerkte Aufteilung schlicht die einfachste Auflösung der Frage, wie der Plot zu lösen ist, darstellt.

Du sagst es bereits, die Verteilung ist gewissermaßen durch die Handlungsprämissen definiert. Es wäre allerhöchstens möglich gewesen, den Antagonisten ebenfalls einen stärkeren religiösen Hintergrund zu verleihen. Das wiederum hätte jedoch den ohnehin hohen Anteil religiöser Figuren zusätzlich erhöht.
Ansatzweise haben ich versucht das aufzubrechen. Die 'Anomalie Aldrin' ist in dieser Hinsicht durchaus bewusst gewählt. Umgekehrt sollte der SacreCoeur dahin deuten, dass sich unter den Piraten, die den Gonern nicht helfen, sprich den Antagonisten, ebenfalls mehr Religiöse befinden als nur Mazuko. Letzteres wird aber vielleicht dadurch in seiner Wirkung geschmälert, als dass diese Piraten eine namenlose Masse bleiben.
Ob Nod eine Aussage trifft über die Wahrheit dessen, woran die Gläubigen glauben, möchte ich mit einem dezenten Fragezeichen versehen. Sicherlich, die Interpretation liegt nahe, dass in Nod die Frage nach der Erde zur Allegorie der Frage nach Gott wird. Da erstere zweifelfrei zu bejahen ist, kann Nod so verstanden werden, dass auch eine positive Beantwortung der zweiten Frage intendiert ist. Zumal wir aus dem Munde Vrederiks eine recht kritische Bewertung, nicht nur des Atheismus, sondern auch des prinzipiell logisch solideren Agnostizismus hören.
Aus diesem Grunde habe ich auf wesentliche Dinge zu achten versucht. Zunächst einmal wird die Handlung niemals metaphysisch. Es greift kein höheres Wesen in das Geschehen ein - anders als beim Todeshauch, wo dies neben dem Wahnsinn Njys zumindest als alternative Erklärung möglich ist.
Zweitens setze ich durchaus bewusst auf Vertreter unterschiedlicher Religionen als Figuren. Nun ist es dem Christentum seinem Ursprung nach theoretisch problemlos möglich, die Lehre des Judentums als wahr zu betrachten. Umgekehrt funktioniert das aber schon einmal nicht. Und spätestens der Shintoismus eines Mazukos zersplittert das Religiöse in Nod zu etwas, das in seiner Gesamtheit nicht mehr aufgehen kann. Da alle Religionen 'die Wahrheit' beanspruchen, können Christentum und Shinto nicht gleichzeitig wahr sein. Die Interpretation, Nod würde 'das Religiöse' als wahr andeuten, ist demnach letztlich nur möglich, wenn man 'das Religiöse' als monolithischen Block auffasst. Nur ist es dies weder in der Realität, noch im Roman der Fall.
Drittens enthält Nod mit Astrana und vor allem Jorge durchaus Motive, welche Religion karikieren. Freilich sind diese nicht handlungsrelevant und deswegen nur marginal in Szene gesetzt.
Dessen all ungeachtet bleibt die Interpretation legtim, in Nod grundsätzlich ein eher positives Urteil über religiöse Ansichten zu erkennen. Auch das ist mir bewusst. Da ich aber, wie im Nachwort angedeutet, der Meinung bin, dass Science-Fiction eine überwiegend klar atheische Spielwiese ist, halte ich das Setzen eines gewissen Kontrapunktes durchaus einmal für berechtigt.
Das ist - wenn man so will - literarische Provokation.

Der dritte Punkt - und der letzte, der Nod direkt betrifft -, gilt Niklas Rider. So sehr es auch schon relativ früh ersichtlich war, dass Rider mehr war, als er vorgab zu sein, und dass er sicherlich eine Loyalität zu jemand anderem als den Gonern hatte, so sehr die Enthüllung mit dem Auftritt des Kapitäns auch vorbereitet wurde, so enttäuschend waren die finale Auflösung und sein letzter Akt, selbst wenn man die Enthüllung der Existenz der Autochtonie gutheißt. Der Charakter hatte über den gesamten Roman hinweg relativ großes Geschick im Geheimhalten seiner wahren Identität und insbesondere im Überleben gezeigt, verfällt am Ende aber in diese geradezu stereotypische letzte Erklärung seines Plans, anstatt seine letzten verbleibenden Gegner einfach zu erschießen - er müsste es nicht einmal an der Stelle tun, wenn man es genau betrachtet. Das Trio hatte gerade einen Jäger erhalten, also ein bewaffnetes Schiff, und sie hätten die Fernsteuerung gehabt. Er hätte warten können, bis er der Wachhabende gewesen wäre, und die anderen beiden im Schlaf töten können. Stattdessen enthüllt er seine Identität in diesem kritischen Moment und hält erstmal eine Rede, obwohl Samuel das später betont, womit klar ist, dass es dir als Autor durchaus bewusst war. Ich muss sagen, dass ich entweder mehr Geschick oder weniger Verrat von Rider erwartet hatte; vornehmlich letzteres, weil es etwas zu viel Schauspielerei war, betrachtet man seine "wahren" Ansichten. Das ist tatsächlich mein größter Kritikpunkt an der Geschichte - es war ohne Frage eine unerwartete Wendung, aber eben auch eine - aus meiner Sicht - zweifelhafte.
:roll: Ja, ich war eigentlich auch der Meinung, genug Hinweise eingestreut zu haben, die den Leser in Hinblick auf Rider stutzig machen sollten. Tatsächlich bist Du aber der Erste, der sie gefunden hat. Kein Probeleser hat Rider vor dessen Selbstenttarnung mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als dieser vordergründig verdiente.
Ansonsten muss ich offen zugeben, dass die Enttarnung seiner Person in der von Dir geschilderten Variante merklich eleganter gewesen wäre. Nur bin ich da schlicht nicht drauf gekommen. Aus diesem Grunde hatte ich niemand anderen zur Hand, der Riders Handeln (und dasjenige von Ironkh) erklären konnte, außer ihm selbst. Gleichzeitig musste sein plötzlicher Seitenwechsel ein für den Leser verständliches Motiv haben. Ich konnte ergo die Erklärung hier auch nicht auslassen.
Die einzigen Alternative, die ich gesehen habe, bestand darin nach einem zunächst unverständlichen Verrat Riders, noch dessen Hintermänner zu enttarnen. Das hätte indes^^ eine zusätzliche Nebenhandlung erfordert, die erst eingesetzt hätte, wenn der zentrale Spannungsbogen schon zum Abschluss gekommen wäre.
Aber, wie gesagt, Deine Variante wäre besser gewesen.

Der vierte und letzte Punkt betrifft bestimmte Plotaspekte, namentlich die Ausgestaltung des Alten Volkes und die der Langlebigen, die bei jeder Erwähnung und Verwendung doch mehr wie Anomalien in der Handlung wirken und von dieser Handlung oftmals fast völlig losgelöst sind, damit im Grunde eine zweite Handlung darstellen, die die eigentliche, "normalere" Handlung stört. Allerdings sprichst du bei den Langlebigen die Problematiken, die sich aus ihnen geben, deutlich an und schaffst es, die beiden Langlebigen in die eigentliche Handlung einzubinden, so dass die Anomalie kleiner ausfällt und vornehmlich den Charakteren als Motivation dient.
Allerdings ist dies kein Vorwurf an dich, denn du greifst damit nur Eigenheiten und Besonderheiten, im Grunde sogar die Beschaffenheit dieses Universums auf, die dir von anderer Seite - namentlich von Helge - vorgegeben wurde. Und meine Kritik hier richtet sich nicht an deine Umsetzung - mit Ausnahme der zuvor genannten und positiven Bemerkungen bezüglich der Langlebigen -, sondern an die Vorgaben und Konzeptionen, die von Helge stammen. Dass ich sie hier erwähne, dient damit mehr der Vollständigkeit (und als Möglichkeit, deine Behandlung der Langlebigen-Problematik zu erwähnen) und dazu, meine Sicht auf das Werk besser einschätzen zu können.

Nod hat zwei Handlungen: Edda und das Sprungtor. Dabei liegt ein deutlich höheres Gewicht auf die Geschichte um Edda (weil die andere dem engagierten X-Fans nichts Neues erzählt). Damit hat aber das Alte Volk mit der Haupthandlung nichts zu tun. Es steht außen vor. Es steht grundsätzlich außen vor, seine Beziehung zum Geschehen im X-Universum ist immer vage gewesen. Das sind, wie Du schon sagst, vorgaben.
Das Alte Volk hat mir in der Tat einiges Kopfzerbrechen bereitet. Allerdings mehr deswegen, als die Szenen, die wegen der Vorgaben aus 'Hüter der Tore' unweigerlich auf einem Sohnenschiff spielen mussten, Gefahr liefen exakt diese Vorgaben zu kopieren. Die Erlebnisse Antheas an Bord des Schiffes mussten sich irgendwie von denen unterscheiden, die in Helges Roman beschrieben werden. Das ist übrigens der tiefere Sinne hinter dem Illiriten.

Die Vorgaben haben mir aber auch anderweitig Schwierigkeiten bereitet. Und damit kommen wir zu Hendersna.
[...] der in seiner Gänze zu sehr Politik und damit gewissermaßen zu wenig Kabarett ist, was jedoch mit Blick auf das politische Kabarett Deutschlands keine absolut unrealistische Konstallation darstellt. Dennoch erscheint es, als erhielte die Kabarett-Komponente mit Hinblick auf den Handlungszweck der entsprechenden Szene nur eine untergeordnete Bedeutung. Das jedoch kann natürlich auch gewollt sein, da die Kabarettistin ganz klar versucht, ein politisches und gesellschaftliches Argument vorzubringen, in welchem Fall meine Kritik dann mehr an die Kabarettistin als Charakter denn an den Autor gerich tet wäre.
Der Satz, in dem Hendersnas Ausführungen gipfeln, findet sich in 'Hüter der Tore' als Zitat (S. 52). S. 115 erklärt, die Sache mit der Prinzessin und dem Königshaus hätte eine Satirikerin im Wahlkampf erfunden.
Nun habe ich mal geschlossen, dass die "Satirikerin" von S. 115 und die "Satirikerin" von S. 52 identisch sind, damit musste ich beides, Satz und Aussage, in ihrem Auftritt unterbringen. Gleichzeitig konnte dies kein gewöhnlicher Kabarettauftritt sein. Er muss große Wellen geschlagen haben, selbst auf Argon, sprich im Ausland. Denn wenn man bedenkt, dass die Überzeugung, Anthea sei wirklich Prinzessin und Aldrin wirklich Monarchie gewesen, später fester Teil der offiziellen argonischen und(!) gonerischen Geschichtsüberlieferung geworden ist, wäre alles andere nicht logisch. Deswegen konnte ich Hendersna keine locker flockigen Politwitzchen erzählen lassen, sondern benötigte schon einen kleineren Skandal von ihrer Seite.
Boro

Ban
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Re: Ein Teil des Teils

Post by Ban » Sat, 21. Sep 13, 18:37

Boro Pi wrote:Ursprüchlich waren alle Anreden in der wörtlichen Rede groß. Allerdings beharrte einer meiner Probeleser darauf, dass man das nur in Briefen machen würde. Das erschien mir insofern logisch, als das ein Ausdruck von Höflichkeit ist, die man in der Rede nicht wiedergeben kann. Ich habe demgemäß dann alles in Kleinschreibung geändert - es aber eventuell hier und dort übersehen.
Meines Wissens - offensichtlich, sonst hätte ich nicht entsprechend kommentiert - wird auch in der wörtlichen Rede mit Großschreibung angeredet - und sei es nur zur besseren Zuordnung und Verständlichkeit. Zumal solch Höflichkeit oder Respektbekundung durchaus in der Rede, wenngleich indirekt, Anwendung findet, im Text vergleichbar etwa mit kursiver Schreibweise zur Betonung. (Zugegebenermaßen habe ich es bisher auch noch nicht anders gelesen.)
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Gut, nur werde ich das nicht an erster Stelle behandeln. Die Gründe dazu werden sich noch aufzeigen.
Ich gebe zu, dass meine Anordnung der Punkte nicht allzu ... geordnet war.
Du sagst es bereits, die Verteilung ist gewissermaßen durch die Handlungsprämissen definiert. Es wäre allerhöchstens möglich gewesen, den Antagonisten ebenfalls einen stärkeren religiösen Hintergrund zu verleihen. Das wiederum hätte jedoch den ohnehin hohen Anteil religiöser Figuren zusätzlich erhöht.
Es wäre zugegebenermaßen mit menschlichen Charakteren auch schwierig gewesen, denn es würde einem Gläubigen durchaus schwerfallen, an die Inhalte irdischer Religionen zu glauben, nicht jedoch an die Erde an und für sich. Machbar wäre dies nur dann, wenn der Glauben weltlicheren Belangen (bewusst gewählte Formulierung) untergeordnet wird, also persönliche Vorteile einen Kompromiss zwischen Glauben und Handeln ermöglichen.
Letzteres wird aber vielleicht dadurch in seiner Wirkung geschmälert, als dass diese Piraten eine namenlose Masse bleiben.
Das ist an dieser Stelle das Problem, ja. Die jetzt auch im Detail zu behandeln, hätte jeden Rahmen gesprengt, aber so bleibt dieser Aspekt, wenngleich erwähnt, doch nebensächlich. Denn da keine Informationen über diese Piraten vorliegen, kann es durchaus sein, dass sie den Konflikt mit ihrem Glauben nicht erkennen, handelt es sich bei ihnen doch nur um einfache Fußsoldaten in einem größeren Plan.
Es greift kein höheres Wesen in das Geschehen ein
Das allerdings kommt darauf an, wie man das Alte Volk betrachtet. Andererseits entspricht das Alte Volk definitiv nicht den Vorstellungen, die die heutigen Religionen von höheren Wesen haben.
Da alle Religionen 'die Wahrheit' beanspruchen, können Christentum und Shinto nicht gleichzeitig wahr sein. Die Interpretation, Nod würde 'das Religiöse' als wahr andeuten, ist demnach letztlich nur möglich, wenn man 'das Religiöse' als monolithischen Block auffasst. Nur ist es dies weder in der Realität, noch im Roman der Fall. [...]
Dessen all ungeachtet bleibt die Interpretation legtim, in Nod grundsätzlich ein eher positives Urteil über religiöse Ansichten zu erkennen. Auch das ist mir bewusst. Da ich aber, wie im Nachwort angedeutet, der Meinung bin, dass Science-Fiction eine überwiegend klar atheische Spielwiese ist, halte ich das Setzen eines gewissen Kontrapunktes durchaus einmal für berechtigt.
Um meine Antwort minimal übersichtlicher zu halten, zitiere ich hier nur Auszüge, auch wenn ich mich auf die gesamte Antwort beziehe.
Inhaltlich liegst du damit natürlich richtig, denn die Religionen sind nicht gleich - insbesondere nicht für jemanden, der mit einer involviert ist beziehungsweise an die ihr zugrunde liegende Erzählung glaubt. Für jemanden, der außerhalb dieses religiösen Konzepts steht, fallen diese Unterschiede aber deutlich geringer aus, wodurch aus Sicht einer solchen Person jene Interpretation, dass Nod die Wahrheit des Religiösen andeutet, an Gewicht gewinnen würde (oder zumindest könnte). Völlig ungeachtet dessen, dass diese Diskussion im Roman faktisch nicht behandelt wird, sondern eben nur die ungleich einfachere über die Existenz der Erde (vergleichbar eher mit der Frage nach dem Fixpunkt des Sonnensystems als einer theologischen Diskussion), während die Frage nach der Wahrheit der Religionen offen gelassen wird. Die entsprechende Assoziation wird schlussendlich ermöglicht.
Das war freilich auch nicht die zentrale Kritik, auch weil diese Schlussfolgerung ("Religion ist wahr" - stark vereinfacht) nicht getroffen wird. Der zentrale Punkt war der moralische Effekt von Religion, der sich - wie inzwischen mehrfach erwähnt - auch aus dem Handlungskontext ergibt. Das Nachwort klärt an dieser Stelle auf, dennoch verbleibt der ebenfalls erwähnte Beigeschmack, das Religion "zu gut wegkommt", um es mal umgangssprachlich zu sagen. Aber es ist vom Autor nicht zu verlangen, dass er politisch korrekt, repräsentativ und ausgeglichen über jeden Sachverhalt berichtet - und solange das Positive des Religiösen nicht aggressiv propagiert wird, sind Tendenzen wie diese explizit erlaubt.

Der dritte Punkt - und der letzte, der Nod direkt betrifft -, gilt Niklas Rider. So sehr es auch schon relativ früh ersichtlich war, dass Rider mehr war, als er vorgab zu sein, und dass er sicherlich eine Loyalität zu jemand anderem als den Gonern hatte, so sehr die Enthüllung mit dem Auftritt des Kapitäns auch vorbereitet wurde, so enttäuschend waren die finale Auflösung und sein letzter Akt, selbst wenn man die Enthüllung der Existenz der Autochtonie gutheißt. Der Charakter hatte über den gesamten Roman hinweg relativ großes Geschick im Geheimhalten seiner wahren Identität und insbesondere im Überleben gezeigt, verfällt am Ende aber in diese geradezu stereotypische letzte Erklärung seines Plans, anstatt seine letzten verbleibenden Gegner einfach zu erschießen - er müsste es nicht einmal an der Stelle tun, wenn man es genau betrachtet. Das Trio hatte gerade einen Jäger erhalten, also ein bewaffnetes Schiff, und sie hätten die Fernsteuerung gehabt. Er hätte warten können, bis er der Wachhabende gewesen wäre, und die anderen beiden im Schlaf töten können. Stattdessen enthüllt er seine Identität in diesem kritischen Moment und hält erstmal eine Rede, obwohl Samuel das später betont, womit klar ist, dass es dir als Autor durchaus bewusst war. Ich muss sagen, dass ich entweder mehr Geschick oder weniger Verrat von Rider erwartet hatte; vornehmlich letzteres, weil es etwas zu viel Schauspielerei war, betrachtet man seine "wahren" Ansichten. Das ist tatsächlich mein größter Kritikpunkt an der Geschichte - es war ohne Frage eine unerwartete Wendung, aber eben auch eine - aus meiner Sicht - zweifelhafte.
:roll: Ja, ich war eigentlich auch der Meinung, genug Hinweise eingestreut zu haben, die den Leser in Hinblick auf Rider stutzig machen sollten. Tatsächlich bist Du aber der Erste, der sie gefunden hat. Kein Probeleser hat Rider vor dessen Selbstenttarnung mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als dieser vordergründig verdiente.
Ich fühle mich geehrt.
Ansonsten muss ich offen zugeben, dass die Enttarnung seiner Person in der von Dir geschilderten Variante merklich eleganter gewesen wäre. Nur bin ich da schlicht nicht drauf gekommen.
Es ist aber meist auch leichter, bei bereits bestehenden Ideen und Konzepten noch ein ergänzendes Detail zu finden, als sich die gesamte Sache auszudenken.
Aus diesem Grunde hatte ich niemand anderen zur Hand, der Riders Handeln (und dasjenige von Ironkh) erklären konnte, außer ihm selbst. Gleichzeitig musste sein plötzlicher Seitenwechsel ein für den Leser verständliches Motiv haben. Ich konnte ergo die Erklärung hier auch nicht auslassen.
Ja, die Problematik besteht natürlich, zumal mit Sicht auf die Leser ein Ende, bei dem Rider gewinnt, und das noch ohne Erklärung, höchstwahrscheinlich sehr unbefriedigend gewesen wäre. Gut, ein Verhör wäre natürlich auch eine Möglichkeit gewesen - wobei dann Rider entweder entkommen oder sterben müsste, um die Enttarnung der Hintermänner zu vermeiden, die einerseits - wie du schreibst - die Handlung gesprengt und andererseits auch zu weit geführt hätte (auch im Sinne des Erfolgs der Goner).

Der vierte und letzte Punkt betrifft bestimmte Plotaspekte, namentlich die Ausgestaltung des Alten Volkes und die der Langlebigen, die bei jeder Erwähnung und Verwendung doch mehr wie Anomalien in der Handlung wirken und von dieser Handlung oftmals fast völlig losgelöst sind, damit im Grunde eine zweite Handlung darstellen, die die eigentliche, "normalere" Handlung stört. Allerdings sprichst du bei den Langlebigen die Problematiken, die sich aus ihnen geben, deutlich an und schaffst es, die beiden Langlebigen in die eigentliche Handlung einzubinden, so dass die Anomalie kleiner ausfällt und vornehmlich den Charakteren als Motivation dient.
Allerdings ist dies kein Vorwurf an dich, denn du greifst damit nur Eigenheiten und Besonderheiten, im Grunde sogar die Beschaffenheit dieses Universums auf, die dir von anderer Seite - namentlich von Helge - vorgegeben wurde. Und meine Kritik hier richtet sich nicht an deine Umsetzung - mit Ausnahme der zuvor genannten und positiven Bemerkungen bezüglich der Langlebigen -, sondern an die Vorgaben und Konzeptionen, die von Helge stammen. Dass ich sie hier erwähne, dient damit mehr der Vollständigkeit (und als Möglichkeit, deine Behandlung der Langlebigen-Problematik zu erwähnen) und dazu, meine Sicht auf das Werk besser einschätzen zu können.

Nod hat zwei Handlungen: Edda und das Sprungtor. Dabei liegt ein deutlich höheres Gewicht auf die Geschichte um Edda (weil die andere dem engagierten X-Fans nichts Neues erzählt). Damit hat aber das Alte Volk mit der Haupthandlung nichts zu tun. Es steht außen vor. Es steht grundsätzlich außen vor, seine Beziehung zum Geschehen im X-Universum ist immer vage gewesen. Das sind, wie Du schon sagst, vorgaben.
Eben deshalb beschrieb ich die Anomalie als "kleiner". Sie ist und bleibt ein Nebenschauplatz, der sich nur begrenzt auf die zentralen Geschehnisse auswirkt. In den jüngeren Helge-Romanen wurde diese Abgrenzung (das "außen vor stehen") schwächer beziehungsweise die Einbindung des Alten Volkes größer, was in der Form, in der es geschehen ist, aus meiner Sicht eher negativ zu bewerten ist, weil es die eigentliche Geschichte, die aus dem X-Universum, in die Irrelevanz treibt, obwohl sie der Fixpunkt der Romane sein sollte. Aber das führt an dieser Stelle zu weit.
Nun habe ich mal geschlossen, dass die "Satirikerin" von S. 115 und die "Satirikerin" von S. 52 identisch sind, damit musste ich beides, Satz und Aussage, in ihrem Auftritt unterbringen. Gleichzeitig konnte dies kein gewöhnlicher Kabarettauftritt sein. Er muss große Wellen geschlagen haben, selbst auf Argon, sprich im Ausland. Denn wenn man bedenkt, dass die Überzeugung, Anthea sei wirklich Prinzessin und Aldrin wirklich Monarchie gewesen, später fester Teil der offiziellen argonischen und(!) gonerischen Geschichtsüberlieferung geworden ist, wäre alles andere nicht logisch. Deswegen konnte ich Hendersna keine locker flockigen Politwitzchen erzählen lassen, sondern benötigte schon einen kleineren Skandal von ihrer Seite.
Gut, das ist eine Argumentation, der ich durchaus zustimmen kann. Wenn man die beiden Aussagen und die Folgen auf die Geschichtsschreibung auf diesen Auftritt zurückzuführen beabsichtigt, muss es sich bei dem Auftritt fast zwangsweise mehr um einen Skandal als um ein Kabarettprogramm handeln.
An der Stelle sei dann einmal generell vermerkt, dass die argonischen Geschichtswissenschaften offensichtlich sehr schlecht ausgestattet und ausgebildet sind. Ob nun Erde oder Aldrin. Aber auch das wieder ist dem Konzept des Universums geschuldet - und wer Geschichte durch den Gründungsmythos der Föderation ersetzen kann, vermag es sicherlich, eine verlorene Kolonie falsch zu betrachten.

Ferner: meinen Respekt für die Detailarbeit mit Hinblick auf die Zitate, Verweise und Verknüpfungen.

Boro Pi
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How not to be seen

Post by Boro Pi » Sat, 21. Sep 13, 19:33

Ban wrote:
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An der Stelle sei dann einmal generell vermerkt, dass die argonischen Geschichtswissenschaften offensichtlich sehr schlecht ausgestattet und ausgebildet sind. Ob nun Erde oder Aldrin. Aber auch das wieder ist dem Konzept des Universums geschuldet - und wer Geschichte durch den Gründungsmythos der Föderation ersetzen kann, vermag es sicherlich, eine verlorene Kolonie falsch zu betrachten.
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Das Merkwürdige ist, dass es diesen Gründungsmythos nicht wirklich gibt. Laut Helge - und ich habe ihn im Vorfeld dazu befragt - gibt es keinen argonischen Gegenentwurf zur tatsächlichen Geschichte, sondern nur eine Nicht-Behandlung dieser Geschichte. Ob nun aber in 400 oder in 800 Jahren, ich halte es nicht plausibel, dass die irdische Vergangenheit der Menschheit so schnell nur 'vergessen' werden konnte, sofern dies nicht aktiv befördert wurde. Die Vorgabe aber ist, dass dies von offizieller Seite nie geschehen ist, sieht man von der Nicht-Behandlung (etwa im Schulunterricht) ab. Die Autochtonie habe ich in diesem Sinne auch nur erfunden, um diese Vorgabe gewissermaßen umgehen zu können. Wenn die irdische Vergangenheit von offizieller Seite nicht aktiv bekämpft wurde, kann dies schließlich immer noch von inoffizieller Seite her geschehen sein.
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Re: How not to be seen - "Declassified"

Post by Ban » Sun, 22. Sep 13, 20:35

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Boro Pi wrote:Das Merkwürdige ist, dass es diesen Gründungsmythos nicht wirklich gibt. Laut Helge - und ich habe ihn im Vorfeld dazu befragt - gibt es keinen argonischen Gegenentwurf zur tatsächlichen Geschichte, sondern nur eine Nicht-Behandlung dieser Geschichte. Ob nun aber in 400 oder in 800 Jahren, ich halte es nicht plausibel, dass die irdische Vergangenheit der Menschheit so schnell nur 'vergessen' werden konnte, sofern dies nicht aktiv befördert wurde. Die Vorgabe aber ist, dass dies von offizieller Seite nie geschehen ist, sieht man von der Nicht-Behandlung (etwa im Schulunterricht) ab. Die Autochtonie habe ich in diesem Sinne auch nur erfunden, um diese Vorgabe gewissermaßen umgehen zu können. Wenn die irdische Vergangenheit von offizieller Seite nicht aktiv bekämpft wurde, kann dies schließlich immer noch von inoffizieller Seite her geschehen sein.
Dem kann ich mich nur anschließen. Es gibt ja keinen wirklichen Grund, das zu vergessen, wenn es nicht eine ausreichend mächtige Institutition gibt, die sich davon einen Vorteil verspricht, etwa eine Regierung, die über einen entsprechenden Gründungsmythos eine bestimmte Denkweise oder einen gewissen Stolz schaffen möchte. Und selbst dann ist und bleibt es schwierig, die Geschichte einfach auszulöschen, denn es ist geradezu unmöglich zu verhindern, dass die Menschen ihre Lebensgeschichte ihren Nachkommen anvertrauen, dass sie dabei bestimmte Gegenstände oder Berichte (gerade im digitalen Zeitalter) weitergeben und somit der Nachwelt Indizien und Beweise für diese andere Vergangenheit liefern. Selbst ohne all die Hilfsmittel, die wir heute haben und die die Überlebenden des Terraformerkrieges zweifelsohne auch gehabt haben, war es manchen Menschen möglich, ihre Stammbäume - und damit einen, wenngleich persönlichen, Teil der Geschichte über Jahrhunderte zu bewahren.
Aber so sind dann wohl die Vorgaben...

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jorganos
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Post by jorganos » Thu, 26. Sep 13, 09:47

Moin.

Da ich das Buch gerade erst zuende gelesen habe, konnte ich vorher auch kein Feedback geben.

Das Lesen hat Spaß gemacht, war flüssig, und es gab keine Längen, die mich zum Beiseitelegen animiert hätten. Schachtelsätze haben mich nicht irritiert, aber ich selbst gehe mit den Satzpunkten auch sparsamer als mit Kommata um.

Zum Handwerklichen - fast völlig fehlerfrei (mir sind nur auf Seite 200 ein überzähliges s und auf Seite 221 eine Kleinigkeit aufgefallen), aber die Seitennummer so dicht am Text irritiert ein wenig.

Das Coverbild hast du leider dadurch ruiniert, dass du es mehrfach im jpeg-Format abgespeichert hast - hättest du z.B. png verwendet, wären die Schlieren und Artefakte nicht so stark ausgeprägt.


Zum Thema Elektrolytmangel in den Ozeanen von Sonra kann ich als Chemiker nur sagen, dass dies eigentlich nur durch einheimische Organismen entstehen konnte, die die Elektrolyte gezielt und langfristig einlagern. Die Elemente Natrium, Kalium, Magnesium, Calcium, Chlor, Schwefel, Phosphor und Sauerstoff sind im normalen Sternenstaub und dessen Aggregaten (Planeten) in so großer Menge vorhanden, dass sie bei der Verwitterung von Mineralien freigesetzt werden und durch Wassertransport ins Meer gelangen müssen, sofern sie nicht vorher abgefangen werden.

Der Salzgehalt der Körperflüssigkeiten ist wegen des osmotischen Effekts, auf dem der gesamte Energiehaushalt aller irdischen Lebensformen basiert, extrem wichtig. Eine physiologische Lösung ohne Mineralstoffe nur durch Enzyme im Weizen ist schwierig vorzustellen. Eine Züchtung, die die Mineralstoffe aus bereits postuliertem einheimischem Leben auf Sonra aufnimmt und anreichtert, hätte aber für deine Geschichte einen ähnlichen Effekt.


Das Thema Religion in der argonischen Gesellschaft hast du interessant aufgegriffen. Tatsächlich haben alle Buchreligionen Hinweise auf heilige Stätten, und alle enthalten archaische Bezüge auf eine nicht-technisierte Lebensweise, wie es sie auf Sonra nie gegeben hat.

Ich frage mich, wie die Argonen zur Frage der Evolution des Menschen stehen. Andererseits sprechen alle bekannten Fakten (richtigerweise) für das Eingreifen einer technologisch überlegenen Zivilisation bei der Besiedelung der argonischen Kolonien. Die gesamte bekannte Menschheit befindet sich in einer Diaspora ohne die Möglichkeit, einen früheren besiedelten Ort zu erreichen. Die jüngste Verteilung auf die argonisch besiedelten Planeten erfolgte mit eigenen Schiffen, aber frühere Ansiedelungen können genauso gut auf fremden Schiffen erfolgt sein.

Eine Organisation, die aktiv alle Beweise für die Existenz der Erde unterdrückt, muss es irgendwann einmal gegeben haben - und sei es in einer Form, die den Kreationisten in den Vereinigten Staaten (und teilweise leider auch schon wieder in Europa) ähnelt.

Die Leugnung der Erde (oder zumindest ihrer Relevanz) muss das Resultat einer diktatorischen Phase zumindest im argonischen Bildungssystem gewesen sein, und das Überleben der Goner in einem solchen System ist nur als belächelte Randgruppe denkbar. Mit anderen Worten, eine Art Reservathaltung derjenigen, die auf die Erdherkunft bestanden, ähnlich wie z.B. die Amish, und eine strenge Zensur aller Schriften (und Datensätze) außerhalb dieser Reservate wäre erforderlich, und das Gonertum muss im gesellschaftlichen Leben alle möglichen Schwierigkeiten aufgeworfen haben. Der strikt pazifistische Ansatz könnte durch aktive Selektion der Goneraktivisten durch ihre Gegner ausgebildet worden sein.

Die Langlebigen wären ein weiteres Problem, und es stellt sich die Frage, ob alle diese "Selbsttötungen" wirklich solche waren.


Ich habe mich auf diese allgemeineren Statements zum Hintergrund beschränkt, weil ich die Spoiler auf meinem Mobilgerät nur mit Mühe und lästiger Aktivität lesen kann. Eure Diskussion ist inzwischen auch schon weit genug vom Buch entfernt, dass sie vielleicht unverspoilert weitergeführt werden könnte.

Boro Pi
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Teladi Tukan

Post by Boro Pi » Tue, 29. Oct 13, 18:52

jorganos wrote:Moin.
Jo, moin Duu. Ich antworte Dir tatsächlich auch noch mal. Damit hättest Du jetzt nicht mehr gerechnet, wie? :roll:
Zum Handwerklichen - fast völlig fehlerfrei (mir sind nur auf Seite 200 ein überzähliges s und auf Seite 221 eine Kleinigkeit aufgefallen), aber die Seitennummer so dicht am Text irritiert ein wenig.
Oh, ich musste leider feststellen, dass es merklich mehr Fehler gibt, als dieses eine S. Irgendwann werde ich mich noch einmal an eine große Überarbeitung setzen.
Das mit den Seitenzahlen werde ich dann auch versuchen zu korrigieren. Ich habe Nod im Laufe der Zeit auf unterschiedlichen Rechnern geschrieben, wodurch es ein paar mal zwischen Word und OpenOffice hin und her gewechselt ist. Dabei wurden die Seitenzahlen nicht selten gelöscht. Deswegen war ich hinterher einfach nur froh, dass sie im PDF drin waren. Hier den Abstand zu Erhöhen sollte dann bei der Überarbeitung aber schnell machbar sein.
Das Coverbild hast du leider dadurch ruiniert, dass du es mehrfach im jpeg-Format abgespeichert hast - hättest du z.B. png verwendet, wären die Schlieren und Artefakte nicht so stark ausgeprägt.
Ja, ich bin mit dem Ergebnis auch überhaupt nicht zufrieden. Nur habe ich es trotz diverser Versuche nicht besser hin bekommen. Deinen Tipp mit PNGs zu arbeiten greife ich gerne auf.
Der Salzgehalt der Körperflüssigkeiten ist wegen des osmotischen Effekts, auf dem der gesamte Energiehaushalt aller irdischen Lebensformen basiert, extrem wichtig. Eine physiologische Lösung ohne Mineralstoffe nur durch Enzyme im Weizen ist schwierig vorzustellen. Eine Züchtung, die die Mineralstoffe aus bereits postuliertem einheimischem Leben auf Sonra aufnimmt und anreichtert, hätte aber für deine Geschichte einen ähnlichen Effekt.
Ich bin mir sicher, ob ich Dich verstehe. Delex LC müsste also quasi Mikroorganismen, die zuvor das Salz 'gefressen' haben, in sich ablagern, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Fasse ich das soweit korrekt in meine bescheidene Begrifflichkeit?
Die Langlebigen wären ein weiteres Problem, und es stellt sich die Frage, ob alle diese "Selbsttötungen" wirklich solche waren.
Ein interessanter Gedanke. Daraus ließen sich einige Handlungen entwickeln.
Eure Diskussion ist inzwischen auch schon weit genug vom Buch entfernt, dass sie vielleicht unverspoilert weitergeführt werden könnte.
Ja, da hast Du zweifelsfrei recht.

Danke für Deine Einschätzung

Boro

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Aller Anfang ist schwer

Post by Boro Pi » Mon, 4. Nov 13, 20:34

Hu, Doppelpost. Hoffentlich erwischt mich keiner... :D

So, ich habe jetzt eine neue Version von 'Nod' hochgeladen. Mit optimierten Titelbild (leider immer noch nicht wirklich perfekt), korrigierter Groß- und Kleinschreibung der Anrede, vergrößertem Abstand zu den Seitenzahlen und etlichen kleineren Rechtschreibkorrekturen. Inhaltlich wurde jedoch nichts geändert. Nochmal lesen lohnt sich also - zumindest aus dieser Sicht - nicht. Ihr findet die überarbeitete Version über die Links in meiner Signatur und im Eröffnungsbeitrag.

Ansonsten habe ich noch etwas anderes für Euch, vor allem für den Kammerjäger und alle Anderen, die etwas mehr von Samuel lesen wollten. Ich hatte bei Nod - wie eigentlich bei jeden längeren Textprojekt - einige Startschwierigkeiten. Ich brauche immer mehrere Anläufe, bis ich mir sicher bin, nun den rechten Weg gefunden zu haben. Das äußert sich dann darin, dass es reihenweise, höchst unterschiedliche Entwürfe für das ersten Kapitel gibt, die dann wieder recht schnell verworfen werden.

Aber für alle, die es interessiert, sind hier die Entwürfe früher mal gedachter Anfänge von Nod.
Entwurf Eins wrote:Das Salz der Erde

Ein kalter Wind wehte von den Berghängen herab und brachte neuen Schnee.
Samuel zog die Kapuze seines Thermoparkas enger zu. Es war kalt, viel zu kalt. Eigentlich hatte auf der Nordhalbkugel von Salterrae gerade erst der Herbst begonnen. Er schlug sich auf die Oberarme, um das taube Gefühl aus ihnen zu vertreiben. Er musste sich eingestehen, die Bedeutung von Herbstanfang im Hochgebirge und bei kontinentalen Klima falsch eingeschätzt zu haben. Zudem, was wusste er schon wie warm es sonst hier oben in den Tereshkoven war? Für gewöhnlich wickelte er seine Geschäfte auf Salterrae in der planetaren Hauptstadt Portasal ab, und diese lag direkt am Meer – und am Äquator.
„Warum um alles in der Welt, habe ich mich auf diesen Unsinn eingelassen?“
Vrederik wandte den Kopf zu ihm um. Kurz erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht, doch es verschwand schnell wieder. Die Anstrengung verzerrte die Züge des größeren Mannes in seiner fast vollständig schwarzen Bergsteigermontur. Er trug schwer an seiner Last. Samuel wusste, Vrederik durfte Thermoparka in jeder Farbe tragen. Dass er sich trotzdem einen schwarzen zugelegt hatte, fand Samuel albern, aber er sagte nichts. Wenn er der Welt alles mitteilen würde, was er an ihr albern fand, würde er wahrscheinlich die nächsten drei Standartjahre ununterbrochen reden müssen.
„Der Trick, Dich für so etwas zu gewinnen,“, setzte Vrederik zu einer Antwort auf die an sich rhetorische Frage seines Begleiters an: „besteht darin, Dich nicht zu fragen. Funktioniert meiner bisherigen Erfahrung nach immer.“
„Nicht zu fragen? Hast Du mich eingeladen, oder nicht?“, protestierte Samuel.
Der schwarzgekleidete seufzte. „Ich hab Dich eingeladen, ein paar Tage hier oben bei uns zu verbringen, nicht dazu, Dich an meiner Bergtour zu beteiligen. Es schien mir nämlich, dass Du Dich in Portasal langweiltet.“
„Und da dachtest Du, Du schleppt mich in Euer verschlafenes Nest, auf dass mir dort nicht langweilig sei, während – ich betone – während Du dann für zwei Tage in die Berge verschwindest, wie?“
Vrederik überging den Vorwurf. „Eigentlich könntest Du mir auch mal tragen helfen.“, meinte er stattdessen.
Der Raumschiffpilot wehrte vehement ab: „Oh nein! Ich schleppe schon einen nicht unerheblichen Teil Deiner Ausrüstung mit mir herum. Genauer gesagt, in meinen Rucksack! Zusammen mit meinen Sachen! Wahrscheinlich hast Du mir aus reiner Boshaftigkeit ein Schinkenbunyo untergejubelt. Ich tue das nur, weil Du mein Freund bist. Aber was Deinen schwerverwundeten Chef angeht...“ Er zeigte auf die kleine reglose Gestalt auf dem Aluminiumgestell: „Der ist Deine Sache. Mit dem habe ich nichts zu schaffen. Warum hast Du Dir keinen von Deinen Jungs mitgenommen, um Dir zur Hand zu gehen.“
„Das ist doch viel zu schwer für die.“
„Zu schwer?“ Samuel starrte ihn an, was Vrederik nicht merkte, weil er ihm wieder den Rücken zugewandt hatte. Für einen Moment erwog er, ob Vrederik einen Witz machen wollte. „Was heißt zu schwer? Die wollen doch Bergleute werden, oder nicht? Dann wird es wohl kaum schaden, wenn sie frühzeitig ein paar Muskeln bekommen.“
„Aber wenn denen was passiert.“, gab Vrederik zu bedenken.
„Achso, dass mir was passieren könnte, dass stört Dich nicht, wie?“, spielte Samuel den Beleidigten.
Der Weg wurde breiter und er konnte nun neben seinem Freund hergehen. Er sah, wie dieser schmunzeln musste und leicht rot wurde. Samuel kannte das, Vrederik wollte irgendeinen harmlosen Scherz machen, den er selber aber für zu frech hielt. Nach kurzem stillen Mitsichringen meinte Vrederik schließlich: „Nunja, dann bekomme ich immerhin Dein Kopfgeld.“
Samuel blinzelte eine Augenblick überrascht, dann musste er schallend lachen. „Ich fürchte, ein kleiner Schmuggler wie ich ist nicht allzu viel wert.“
„Kein Mensch ist ohne Wert, Samuel!“, mahnte Vrederik in gespieltem Schulmeisterton und musste dann ebenfalls lachen.
Unter ihren Stiefeln knirschte der frische Schnee, immer mehr Flocken tanzten um sie herum. Lange würden sie nicht mehr weiterwandern können. Samuel begann sich verstohlen nach einen möglichen Unterstand umzusehen. Vrederik entging dies nicht, er versicherte seinen Begleiter, dass sie innerhalb der nächsten halben Stunde eine Berghütte erreichen würden. Doch der Raumfahrer war skeptisch, da er momentan nichts dergleichen sehen konnte. Er aktivierte das Navkommgerät an seinem Armgelenk und ließ sich die Angabe bestätigen. Vrederik, seit jeher Bergbewohner, schüttelte den Kopf.
Schweigend stampften sie weiter und tatsächlich tauchte bald ein brauner Fleck, in der weiß-grauen Landschaft auf. „Jetzt mal ernsthaft,“, meinte der Schmuggler plötzlich als der Fleck schon die erkennbaren Konturen eines Bauwerks angenommen hatten: „Hast Du Fleisch unter Deinem Proviant.“
Vrederik verdrehte die Augen. Dann überkam ihm wieder dieses schelmische Schmunzeln und er sagte schwärmerisch: „Nunja, Gorrum IV exportiert diese unwiderstehlichen Blutwürste...“
„A********!“, brummte Samuel und bemühte sich mit mäßigen Erfolg, ein Lachen zu unterdrücken.
„Nein, keine Sorge. Mein Proviant ist immer noch in meinem Rucksack, abgesehen davon ist Fastenzeit.“
„Achja!“, erinnerte sich Samuel: „Noch eines von Euren absurden Ritualen, so wie Kreuze an allen nur denkbaren und undenkbaren Plätzen aufzustellen.“
„Oder einen Tag in der Woche seine Schritte zu zählen.“, konterte der Priester. Sie lachten.
Als sie die Hütte erreichten, hatte das Schneetreiben gerade wieder aufgehört. Aber der Himmel war noch immer wolkenverhangen und auch die Nacht würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Sie entschieden daher, wie geplant an diesem Tage nicht mehr weiterzuziehen.
Vrederik legte das Kruzifix einfach neben der Hütte nieder, da es nicht durch die enge Tür passte. Ab dem folgenden Tag würde es für Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte den Gipfel des Botherhorns zieren, da kam es auf eine Nacht mehr in Wind und Wetter nicht an. Der Priester prägte sich lediglich ein, wie weit er das Kreuz von der Außenwand der Blockhütte abgelegt hatte, um es morgen auch dann wiederzufinden, wenn es eingeschneit werden sollte.
Samuel inspizierte inzwischen die Hütte. Sie schien nur aus drei Räumen zu bestehen. Von draußen gelangte man zunächst in den größten Raum, rechts führte eine Tür in ein anderes Zimmer, hinten links war ein sehr kleiner Raum abgegrenzt. Bei ihm konnte es sich nur, um die Toilette handeln. An der Stirnseite des Hauptraumes stand ein großer, aus sauber ineinandergefügtem Felsgestein gemauerter Kamin, daneben ein ordentlicher Stapel Brennholz. Linkerhand stand ein grobgezimmerter Tisch, rechts und links flankiert von je einem dreistöckigen Bett. Samuel strich mit der Hand über die Wand. Wände aus Holz. Irgendetwas in Inneren des alten Raumfahrers befand, dass es gut war. Eine Erinnerung an seine Kindheit. Wände aus Holz. Unwillkürlich fragte er sich, wie viele Jahre er inzwischen in Raumschiffen und Raumhäfen gelebt hatte.
Ein mechanisches Surren riss ihn aus seinen Gedanken. Ein weißer Roboter rollte aus dem dunklen Schatten zwischen rechten Bett und der Zwischenwand zum Toilettenraum heraus. Samuel hatte ihm zuvor nicht bemerkt, was ihm beunruhigte. Früher hatte er messerscharfe Instinkte besessen. Damals im Krieg gegen die Maschinen, Leutnant Greenwald das Fliegerass. Wo war die Zeit geblieben?
Der Roboter war indes herangekommen. Er hatte Ähnlichkeit mit einem aufrechtgehenden Insekt mit seinen sechs Armen und dem sich nach oben verbreiternden Kopf. Seine 'Augen' leuchteten rot auf, was ihm einen feindseligen Ausdruck verlieh. Samuel wusste aber, dass der Bot lediglich seine Sensoren für Wärmestrahlung aktiviert hatte, sowie eine Reihe weiteren Sensoren, deren Arbeiten von außen nicht sichtbar war. Er lehnte sich an die Wand und wartete bis der Roboter feststellte: „Sie sind gesund. Werden Sie von anderen Homo Sapiens begleitet?“
Homo Sapiens? Samuel musste grinsen, die MedicBots beim Militär drückten sich nicht so gewählt aus. Er erinnerte sich an eine Bauserie, die ihr Vokabular durch selbstständiges Lernen erweitern sollte. Nach den ersten zwei Monaten des Krieges sprachen diese Modelle nur noch in Kraftausdrücken. „Ja, da ist noch so'n Homo Sapiens da draußen. Der ist auch gesund. Kannst Dich also abschalten, Kleiner.“
„Bestätige, Ruhemodus wird wieder aufgenommen.“ Er drehte seinen Oberkörper herum und fuhr wieder in seine Ecke. „Ich weise Sie darauf hin, dass Ihr Körper leicht unterkühlt ist.“
„Wo Du es sagst, hast Du einen Schnaps für mich?“
„Das ist medizinisch gesehen nicht sinnvoll.“, bemerkte der MedicBot, der wieder in seiner Ecke angekommen war.
„sch**** Zivilroboter.“, brummte Samuel.
„Gern geschehen.“, antwortete dieser und deaktivierte sich dann. Der Raumfahrer sah ihn verblüfft an, mit so einer schnippigen Antwort hatte er nicht gerechnet. Erst nach einem Augenblick ging ihm auf, dass dem Bot wahrscheinlich nur wenige Sätze einprogrammiert sein dürften, eine Konservation zu beenden. Umso besser fand die Antwort. Er musste wieder lachen.
Vrederik betrat nun ebenfalls die Hütte. „Sag mal, stehst Du hier die ganze Zeit hinter der Tür herum und amüsierst Dich am Muster der nichtvorhandenen Bettbezüge?“
Der Priester erwartete keine Antwort. Er legte seinen Rucksack auf das untere Bett rechts und ging dann zielstrebig zum Kamin, um ihn anzustecken. Samuel nahm nun ebenfalls seinen Rucksack ab und ging auf das linke Etagenbett zu. Welche Etage sollte er nehmen? Bei den unteren Beiden würde man sich morgens mit Sicherheit den Kopfstoßen und für das Obere musste man vermutlich Kampfpilot sein, um darin keine Höhenangst zu bekommen. Entschlossen warf er seine Tasche hinauf. Er war schließlich ein Kampfpilot.
„Wohin führt eigentlich diese Tür da?“, fragte er beiläufig Vrederik, der im Kamin das Holz aufschichtete.
„Sieh doch nach.“, schlug dieser vor, während er sein Feuerzeug aus der Tasche fingerte.
Naheliegend, dachte Samuel und ging zur Trennwand hinüber. Er öffnete die Tür und spähte in den dämmrigen Raum hinein. Eine Reihe von Holzpfeilern durchzog den deutlich kleineren Raum. Jeder dieser Pfeiler war von einer Trommel umhüllt, die ebenfalls aus Holz zu bestehen schien und mit sonderbaren Schriftzeichen bedeckt war.
„Eh, was ist das, Vrederik?“
„Das sind, glaube ich, Gebetsmühlen für die Buddhisten. Bei besseren Wetter kommen die regelmäßig hier rauf.“
Samuel machte ein Gesicht, als versuchte er aus Höflichkeit über einen an sich schlechten Witz zu lachen. Er schloss die Tür wieder und fing an sein Bett zu beziehen. Gebetsmühlen und Gebirgskreuze. Und die Bevölkerung dieses Planeten wunderte sich ernsthaft darüber, warum sie auf NR-Gunne-Prime für völlig meschugge gehalten wurde.

Wehrkraftzersetzung

„Art. 12,1: Es ist dem Lehrpersonal aller Schulen, Universitäten und sonstigen Bildungseinrichtungen in öffentlicher oder privater Trägerschaft untersagt, wissenschaftlich nicht beweisbare Theorien zu lehren, ohne über den hypothetischen, religiösen oder anderweitig nicht-empirischen Charakter vorgenannter Theorien aufzuklären. […]
Art. 12,5: Zu den wissenschaftlich nicht beweisbaren Theorien im Sinne des Artikel 12 Absatz 1 gehören insbesondere religiöse Anschauungen, wie der Glaube an metaphysische Wesenheiten und Phänomene. Gleiches gilt für Theorien über die Abkunft der Menschheit von Planeten, deren Existenz nicht gesichert ist, wie der so genannten Erde.“

Vierte Fassung des Föderationsbildungsgesetzes,
verabschiedet 178 NT, Sonra IV


„Angeklagte, ich lege Ihnen dringend nahe mit uns zu kooperieren!“, sagte der Richter des Tribunals streng: „Also noch einmal: Name, Rang, Dienstnummer?“
Die blauhaarige Argonin seufzte: „Mary-Louise Clayton, Captain, AFAF 560-907-998!“
„Wann und wo geboren?“
„2123 in Ely, Nevada.“
Das Gesicht des Richters – er war General - verfinsterte sich: “2123? Wollen Sie mir erzählen, dass Sie aus der Zukunft kommen?“
„Nein, Sir!“
„Aber Sie wissen schon, dass wir das Jahr 399 schreiben?“, fragte der Richter bissig.
„Ja, nach argonischem Kalender, wäre jetzt das Jahr 399 nach Gründung der Föderation. Ich benutze aber den alten Kalender.“
„Sie meinen den Kalender des Sonranischen Imperiums?“
„Nein, den Kalender der Erde. Das Sonranische Imperium hat niemals existiert!“
„Ich warne Sie zum letzten Mal! Achten Sie darauf, was Sie sagen!“, schrie der Vorsitzende. Gemäßigter fuhr er fort: „Und welches Jahr hätten wir laut Ihrem Kalender?“
Die Angeklagte musste kurz nachdenken: „2575, Sir!“
„Captain Clayton, Sie wollen uns doch wohl nicht erzählen, dass Sie über vierhundert Jahre alt sind? Jeder kann sehen, dass Sie Mitte dreißig sind!“
Mary-Louise schluckte, dieser Teil war ihr selber unangenehm: „Ich bin Ergebnis genetischer Experimente, die das Ziel der Verlängerung der Lebenserwartung hatten.“
„Der modernen Genetik sind keine Techniken bekannt, um Menschen derartiger Lebenserwartung zu erzeugen.“
„Die Erde des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts besaß diese Technik!“, insistierte die Angeklagte. „Sie haben ärztliche Gutachten vorliegen, die Ihnen bestätigen, dass mein Erbgut verändert worden ist.“
Der Richter schlug beiläufig ein Dossier auf und schloss es gleich wieder, ohne wirklich hineinzusehen: „In der Tat. Die Analyse Ihrer DNS hat Hinweise auf erhebliche Eingriffe zutagegefördert, so z.B. dass ihre unnatürliche Haarfarbe in ihrem Genom festgelegt ist.“
„Eine Nebenwirkung des Langlebigkeitsgen.“, erklärte Mary-Louise.
Der Vorsitzende überging es. „Laut meinen Unterlagen sind Ihre genetische Modifikationen vom Gesundheitsministerium der Föderation niemals genehmigt worden. Der Eingriff ist also illegal erfolgt. Eine Klage wegen Erbgutverunreinigung wird gegen Sie eröffnet werden, sobald das Verfahren bezüglich Ihrer Wehrkraftzersetzung abgeschlossen ist.“
„Aber das Gesundheitsministerium der Föderation gab es damals doch noch gar nicht!“, schrie die Argonin aufgebracht.
Der Richter ignorierte auch diesen Einwand: „Und dieses ‚Nevada’, aus dem sie stammen wollen, befindet sich das auf diesem Planeten namens...“ Er beugte sich über seine Notizen und kniff die Augen zusammen, so als wäre ihm dieser sonderbare Name bereits wieder entfallen: „Erde?“
„Ja, Sir!“
„Und in welchem Sektor soll dieser Planet sein?“
„Sol! Das ist ein Nachbarsystem von Alpha Centauri, jenes Sektors den Sie ‚Nathans Verlust’ nennen.“
Der General faltete die Hände: „Und wie würde ich Ihrer Meinung nach diesen Sektor ‚Sol’ nennen?“
„Das System Sol ist auf den Sternenkarten der Föderation nicht eingetragen, weil es über kein Sprungtor verfügt.“
„Ach?“, machte der Richter mit zynischen Tonfall: „Sie behaupten also vermittels eines konventionellen Antriebes zwischen verschiedenen Sternensystemen hin- und hergereist zu sein?“
„Nein, Sir, ich bin über ein Sprungtor hierhergekommen.“
„Sie verstricken sich in Widersprüchen, Angeklagte, soeben behaupteten sie noch, das System Sol verfüge über keine Sprungtore.“
„Aber nein!“ Die Argonin schrie verzweifelt: „Unsere Vorfahren haben die Sprungtorverbindungen zerstört, weil es die einzige Methode war, die Erde vor den Terraformern, die Sie Xenon nennen, zu schützen. Im Sektor ‚Nathans Verlust’ treiben die Reste des zerstörten Erdtores noch immer herum.“
„Es reicht mir langsam mit Ihren Ammenmärchen, Captain! Jedes Kind weiß, dass man ein Sprungtor nicht langfristig beschädigen kann.“
Entwurf Zwei wrote:Die Wälder Fuchongs

Der Boden war hart und trocken. Zu trocken und entsprechend zu kahl. Moose und Flechten, die unverwüstlichen Dauergäste der Evolution, hatten jeden Flecken Erde besiedelt, der trotz der dichten Baumkronen noch Licht bekam. Auch einige tapfere, kleine Blumen hatten sich hervorgekämpft, um dem subpolaren Sommer stolz ihre winzige Blüten zu zeigen. Doch schienen es Zyklos Vantera deutlich weniger zu sein als in den Jahren zuvor. Der dunkelblonde, hochgewachsene Mann spähte umher, um sich zu orientieren. Der Fluss konnte nicht mehr weit sein. Theoretisch hätte er sich von seinem Infoarmband satellitengestützt dorthin leiten lassen können, doch davon hielt er nicht viel. Zudem hatte er das Armband deaktiviert, da es auch Kommunikationsgerät diente und er momentan definitiv nicht erreichbar sein wollte, nicht für Mel oder irgendwem sonst aus der Abteilung und insbesondere nicht für den Admiral. Er griff mit einer Hand in die Trageschlaufe seines Nadelprojektilgewehrs. Er musste nachdenken.
Etwa fünfhundert Meter entfernt, entdeckte er eine Stelle, wo sich der Wald lichtete, es musste die Schneise des Flusses sein. Sein Orientierungssinn hatte ihn nicht getrogen. Schnellen Schrittes, aber ohne mit seinen schlammfarbenen Stiefeln ein Geräusch zu verursachen, ging er weiter. Die moosbewachsenen Seiten der Bäume auf der linken Seite lassend, ging er in exakt östliche Richtung. Gegen den Wind, damit die Tiere ihn nicht wittern konnten. Nach wenigen weiteren Sekunden konnte Zyklos das Flussufer zwischen den Baumreihen erkennen. Überrascht registrierte er das helle Grün eines üppigen Bewuchses. Hunderte von Burnen hatten sich am Ufer festgesetzt und boten mit ihren halb mannshohen Wedeln einen beeindruckenden Anblick. Die immergrünen Sporengewächse sollte es eigentlich nördlich der Akegahara-Ebene nicht geben. Gleiches galt für die Iotameisen, die im dunklen Nadeldach fröhliche Liedchen trällerten. Das Ökosystem von R-Gunne-Prime war in Bewegung geraten, nicht nur auf dem anthropogen überformten Südkontinent Delexien, sondern auch hier im wilden Norden der unbeachteten Provinz Fuchong.
Nahe dem Ufer ging der schwarze Erdboden langsam in ein Bett aus hellgrauen Kies über. Als er beim Gehen das leise Knirschen unter seinen Stiefelsohlen nicht mehr vermeiden konnte, hockte er sich hinter einen der Burne und legte das Gewehr bereit. Wenn es wirklich stimmte, dass die Wildtiere aus den Corvanischen Bergen nach Norden abwanderten, würde er nicht lange warten müssen. Ein Grund mehr für Zyklos, zu hoffen, dass es nicht so sei.
Der Fluss führte erschreckend wenig Wasser. Das Bild hier in Fuchong war dasselbe wie in Tuomi, Velika Selmja oder Ciltranien, in allen Provinzen am Polarkreis war es zu trocken. Eigentlich war es überall zu trocken. Aber für den Rest war er nicht zuständig. Zyklos seufzte. Wahrscheinlich war er es doch. Mit jedem Male, das er über das Missverhältnis der Niederschlagsmenge nachdachte, konnte er sich mehr aufregen. Es war so impertinent. Knapp über eine Milliarde Menschen zwangen allen anderen Lebewesen des Planeten ihre Vorstellung von gutem Wetter auf. Es kürzlich hatte die planetare Tourismusbehörde beim Senat einen neuen Antrag auf ein generelles Regenverbot eingereicht. Taktisch geschickt, mitten im Wahlkampf. Die einzelnen Präsidentschaftskandidaten wurden nicht müde, sich gegenseitig mit immer neuen Kampagnen 'Sonne-für-Delexien' zu überbieten. Offenbar schien es niemanden sonderlich zu interessieren, wie Bunyos, Ordanos und Java auf seinen Frühstückstisch kamen, solange es passierte. Und dass sich ausgerechnet die Terristen für den Regen stark machten, war dessen Popularität auch nicht sonderlich zuträglich. Aber die Sonnenanbeter würden sich schon bald umsehen. Er grinste. Zum ersten Mal konnte er diesem Tag etwas Positives abgewinnen.
Er wartete. Willkürlich wanderten seine Gedanken zu den Terristen zurück, ein ganz sonderbarer Haufen, der sich selber 'die Gunner' nannte. Sie erzählten lauter wirres Zeug über die Menschheit, die Föderation R-Gunnes und dessen Gründers Nathan R. Gunne. Die Menschen hätten die Xenon gebaut, Gunne sei in seiner Jugend ein Raumpirat gewesen, habe später beim Militär angeheuert und gegen die Xenon gekämpft, dabei aber lediglich einen Phyrrhussieg errungen und ein Sprungtor zerstört. Zyklos verstand nicht, wie man an so einen Unsinn glauben konnte. Jedes Kind wusste, dass man Sprungtore, jene mysteriösen Hinterlassenschaften einer unbekannten alten Zivilisation nicht zerstören konnte. Und der Erstkontakt mit den Xenon fand fast zweihundert Jahre nach Gunnes Tod statt. Wie sollte er gegen sie gekämpft haben? Nun gut, dass die Menschen die Xenon gebaut haben, konnte sich Zyklos vorstellen. Die Xenon waren Maschinen; irgendwer muss sie gebaut haben und die Menschen waren dumm genug, so etwas zu tun. So gesehen, dachte er sich, waren die Terristen auch nicht schlimmer als der Rest.
Besonders gerne redeten die Mitglieder der Sekte über den Planeten Erde. Oder auch Terra oder Gaia. Sie schienen tausend Namen für ihn zu kennen. Die Erde diente ihnen als große Zaubertüte, aus der sie nach Belieben jede noch so groteske Geschichte herauszuziehen vermochten. Die Erde sei der Heimatplanet fast aller bekannter Tier- und Pflanzenarten, sowie selbstverständlich auch des Menschen. Schätzungsweise zwölf Milliarden Menschen sollten dort leben. Zwölf Milliarden auf einem einzigen Planeten! Die irrwitzige Zahl überstieg schlichtweg Zyklos Vorstellungskraft. Zwölf Milliarden! Das war fast dreimal soviel Bevölkerung wie in der Föderation und den freien Welten zusammen. Aber damit nicht genug: Das Langlebigkeitsgen, an dessen vollständiger Entschlüsselung argunnische Genetiker seit Generationen erfolglos herumrätselten, sei von Wissenschaftlern der Erde 'entworfen' worden. Zudem hätten diese Erdwissenschaftler eigene Sprungtore gebaut. Interessanterweise gaben die Terristen aber zu, dass alle bekannten Sprungtore nicht irdischen Ursprungs seien. Eigentlich wunderte sich Zyklos meist mehr über ihre fehlende Stringenz in diesem Punkt als über ihre Geschichten. Und natürlich sei auch Nathan R. Gunnes Lebensgeschichte eng mit der Erde verknüpft gewesen. Der Clou der Terristen war jedoch die Behauptung, dass das Sternensystem der Erde über kein Sprungtor verfüge. Man konnte also nicht dorthin fliegen. Dieser simple Trick machte die Lehre der Sekte immun gegen jeden Beweis der Nichtexistenz der Erde.
Nun, Zyklos, hatte zeitlebens versucht, möglichst wenig mit diesen Spinnern zu tun haben zu müssen. Aber eigentlich galt das für alle anderen Menschen in gleichen Maße. Im Prinzip war es Zyklos egal, ob die Menschheit nun von der Erde, R-Gunne-Prime, Taurus oder einem drei Kubikmeter großen Irrläufer namens Itchi-Ditchi-Flitchi AX331 stammte. Im Prinzip. Aber es gab da eine Sache, die er nicht ignorieren konnte, und die in der unbewiesenen Lesart der Terristen zumindest mehr Sinn machte als in der konkurrierenden Realität: Salz.
Inzwischen hatte sich eine Herde Sichtgnus am Fluss eingefunden, um zu saufen. Sichtgnus waren kleine, zottelige Verwandte des domestizierten Argnus.
Entwurf Drei wrote:Wo der Drache schläft

Lunas stand als blasse Sichel am Himmel. Als steter Begleiter seines Planeten schaute der Mond hinab auf das nächtliche Argon Prime. Er hatte schon Vieles und Viele gesehen, doch niemals hatte er jemanden verraten. Wenn er schien, schien er eine Schwäche für die Schwächen der Menschen zu haben.

Samuel schlich geduckt durch das hohe Gras, vorsichtig einen Schritt vor den nächsten setzend. Im sonderbaren Grün des Nachtsichtgeräts folgte er Aki Tom, der sich mit der Eleganz einer Katze bewegte. Er selber war nicht so geschickt wie der ehemalige Kommandosoldat, fand sich für einen Piloten jedoch ganz passabel. Wie um ihn eines Besseren zu belehren, knackte ein Ast unter seinem Schuh. Aki Tom drehte sich sofort um und signalierte ihm, stehen zu bleiben und sich hin zu hocken. Samuel tat es, obwohl er meinte, dass Akis Vorsicht etwas übertrieben war.
Sie verharrten still und lauschten. Die entfernte Geräuschkulisse des Besucherzentrums oben auf der Klippe drang gedämpft an ihre Ohren. Das Mausoleum war auch nachts gut besucht, trotz des dann deutlich eingeschränkten Betriebes der Shuttlegleiter. Die Musik aus den Restaurants und Clubs verschmolz mit den Erläuterungen der Roboguides und dem Stimmen der Menschen auf der Aussichtsplattform zu einem ewig fließendem Rauschen.
Sie lauschten weiter. In der näheren Umgebung waren nur die Geräusche der nächtlichen Natur zu hören. Einige Grillen sangen aus Freude darüber, dass nun endlich auch in Corvanien der Frühling eingezogen war. Auch ein Kauz ließ sich vernehmen. Ansonsten schien alles ruhig zu sein. Keine Wachen, keine Drohnen. Anderseits hatten sie den Waldrand noch nicht erreicht und erst dort fing das eigentliche Gunne-Gelände an. Nichtsdestotrotz gab außerhalb desselben Patrouillen, die nicht unbedingt lange warten würden, auf zwei Gestalten mit Flecktarnanzügen, Nachtsichtgeräten und Projektilgewehren das Feuer zu eröffnen.
Schließlich erhob sich Aki Tom wieder und schlich weiter, er winkte Samuel mit. Dieser wog das klobige Gewehr in seinen Händen. Er hatte niemals zuvor mit einer Projektilwaffe gearbeitet. Tatsächlich war er verwundert gewesen zu erfahren, dass solche Dinger noch im Gebrauch waren. Aki hatte ihm allerdings erklärt, Landungstruppen seien standardmäßig damit ausgestattet. Zwar erreichten Projektilgewehre nicht die Zerstörungskraft gleichgroßer Energiewaffen, doch im Gegensatz zu Letzteren konnte ihr Einsatz von Sensoren kaum registriert werden. Egal ob Laser oder Projektile, an sich hatten Samuels Auftragsgeber ihm die klare Vorgabe gemacht: Waffengebrauch, überhaupt jeglicher Einsatz von Gewalt, war ausdrücklich untersagt worden, niemand durfte zu Schaden kommen. Die Goner schienen offensichtlich recht romantische Vorstellungen vom Eindringen in militärische Sperrgebiete zu hegen. Nun, er musste ihnen hinterher schließlich nicht in jedem Detail erläutern, wie er vorgegangen war. Oder mit wem. Er war sich nicht sicher wie viel von den Gerüchten stimmte. Und er hatte weder den Le Requin, noch ihn selber danach gefragt, doch angeblich war Aki Tom Mazuko ein Auftragsmörder.
Sie erreichten den Waldrand. Aki Tom blieb kurz davor unvermittelt stehen. Samuel duckte sich sofort wieder. Sein Begleiter zog ein kleines, unscheinbares Messgerät aus der Tasche hervor und ließ es vorsichtig kreisen. Eine grüne Welle erschien und wanderte über das schmale Display der Apparatur. Langsam schritt Aki Tom mit dem Gerät zur Seite, kam zurück und ging einige Schritte in die andere Richtung. Er nickte Samuel kurz zu. Sie hatten das Barrierefeld erreicht.
Aki steckte das Messgerät wieder ein und ließ das Morphseil, das er um seine linke Schulter gewickelt hatte, ins Gras gleiten. Ein Tritt auf eines der Enden aktivierte das intelligente Material. Wie von Geisterhand entrollte sich das Seil von selbst, orientierte sich am planetaren Schwerefeld und richtete sich kerzengerade auf. Das untere Ende breitete sich ein wenig aus, bevor es ringförmig erstarrte und wie der aufrecht stehende Teil steinhart wurde. Eine raue Stange mit ringförmigen Fuß ragte nun dem Himmel entgegen. Aki Tom kletterte als erster hinauf. Oben angekommen schwang er sich über der Barriere auf einen größeren Ast. Von dort krabbelte er weiter und ließ sich schließlich auf dem Waldboden fallen. Er landete auf den Füßen. Samuel war von der Lautlosigkeit des Ex-Soldaten beeindruckt.
Nun musste er dessen Kunststück wiederholen. Es gelang ihm ohne große Mühe sich am Morphseil herauf zu hangeln. Doch oben angekommen, zögerte er. Er konnte von hier aus nicht wirklich springen, denn es gab nichts, wovon er sich hätte abstoßen können. Wie hatte Aki Tom das gemacht? Dieser wies ungeduldig in die Richtung des Astes, zu dem Samuel hinüber sollte. Der Pilot war unschlüssig. Der Ast war nicht wirklich weit entfernt, und doch konnte sich Samuel kaum vorstellen ihn zu erreichen.
Er streckte den Arm aus und ertastete einige Blätter. Mit der zweiten Hand sich festhaltend, lehnte er sich nach vorn. Unten signalisierte ihm Aki Tom mit hektischen Bewegungen dies zu lassen, gleichzeitig spürte Samuel wie die Kletterstange des Morphseils sich zu neigen begann. Panisch griff er nach vorne, meinte den Ast zu erwischen, ließ die stürzende Stange los und griff auch mit der zweiten Hand in die Richtung des Baumes. Trotz des Gefühls zu fallen, zog er die Füße an. Auch seine zweite Hand fand Halt. Er registrierte, dass er mit den Fingern beider Hände den Ast umfassen konnte. Dieser war allerdings nicht dick genug, es war nicht der richtige. Hinter Samuel plumpste das Morphseil dumpf ins Gras, wo es sich umgehend wieder aufrollte. Über ihm indes hörte ein heftiges Rascheln in der Baumkrone und schließlich das Knacken, das er schon seit einigen Augenblicken erwartete. Zusammen mit einem Haufen Zweigen und Blättern landete Samuel unsanft auf dem Boden.
Aki Tom half ihm auf und zog ihn hastig weiter in den Wald hinein. Nach etwa zweihundert Metern warf er sich auf dem Boden und zog Samuel mit. „Alles in Ordnung?“, fragte er flüsternd. Es waren die ersten Worte die er seit ihrem Aufbruch gesprochen hatte.
Die Seite seines Körpers, auf der er gelandet war, pulsierte in Schmerz. Aber ihr kurzer Spurt hatte Samuel gezeigt, dass er abgesehen von diversen Prellungen unbeschadet davongekommen sein musste. Er hob den Daumen. Zu seiner Verwunderung klopfte ihm der Söldner daraufhin kurz auf die Schulter.
„Habe ich die Barriere berührt?“, fragte Samuel, ebenfalls flüsternd.
Aki Tom schüttelte den Kopf und zuckte dann mit den Schultern. Er wies in den Wald. Samuel schaute in die gewiesene Richtung. Zunächst fiel ihm nichts ungewöhnliches auf. Er war die Optik von Nachtsichtgeräten nicht gewohnt. Doch dann bemerkte er das leichte Wabern. Da war eine Lichtquelle, allerdings noch in einiger Distanz. Ihr Ziel.
Samuel wollte weitergehen, doch Aki Tom zog ihn auf den Boden zurück. Diesmal zeigte er nach oben. Dort war außer dem Baumkronen, die gemächlich in der nächtlichen Brise schaukelten, nichts zu sehen. Also lauschte Samuel wieder in die Dunkelheit. Der Kauz war verstummt und auch die Grillen waren hier im Wald kaum noch zu hören. Dafür war das leise Summen anderer Insekten zu vernehmen, einige frühe Vögel raschelten bei ihrer Nahrungssuche im Laub herum, irgendein Tier schabte an einer Baumrinde herum. Die Blättern rauschten und aus der Ferne waren weiterhin die Geräusche der Menschen oben an der Klippe zu hören, etwas deutlicher inzwischen. Irgendwo ebenfalls weit entfernt zischten die Landedüsen eines Shuttlegleiters. Es schien alles ruhig. Doch dann bemerkte auch er es, da war noch ein Geräusch. Ein leises, fast unhörbares Surren lag in der Luft. Eine Drohne.
Den Atem anhaltend sah Samuel hinauf und spähte mühsam, konnte jedoch weiterhin nichts erkennen. Aki Tom schien erfolgreicher zu sein, zumindest drehte er sein Gewehr so um sich, als habe er die Drohne im Visier und folge ihrem Flug.
Nichts geschah. Kein Suchstrahl fiel auf sie hinab, keine Sirene erscholl und Aki ließ sich nicht zu einen unüberlegten Schuss hinreißen. Die beiden erhoben sich wieder und schlichen weiter. Aki Tom, der weiterhin vorausging, verharrte abermals und deutete in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Ein Lichtkegel stand am Waldesrand. Offenbar hatte die Drohne direkt die Stelle angesteuert, an der Samuel hinabgestürzt war und untersuchte diese nun. Im hohen Gras würde sie das Morphseil auch in niedriger Schwebehöhe nicht entdecken. Den abgebrochenen Ast indes würde sie nicht übersehen können. Wie würde das Computergehirn reagieren? Wie verdächtig oder auffällig würde es den Fund einstufen?
Aki Tom zeigte auf Samuel. Dieser verstand zunächst nicht, erst als der Soldat den Kopf abwechselnd in ihre Marschrichtung und zurück ruckte, erkannte der Pilot, dass er entscheiden sollte, ob sie fortfahren oder abbrechen sollten. Nach kurzem Zögern, hob Samuel wieder den Daumen. Aki Tom sah ihm daraufhin einige Augenblicke regungslos an, dann ging er weiter. Zu gerne hätte Samuel gewusst, was für ein Gesichtsausdruck in diesen Augenblicken verborgen hinter Nachtsichtgerät und Maske auf dem Gesicht seines Begleiters gelegen hatte. Sofern sich ein Auftragsmörder denn überhaupt irgendwann einer deutbaren Mimik bediente. Wahrscheinlich stellte sich Aki Tom Mazuko gerade genau dieselbe Frage, der sich Samuel zunehmend stellen musste: War es das wert? Was sie zu tun beabsichtigten wäre an einem anderen Ort als diesem eine Bagatelle gewesen. Wäre man erwischt worden, wäre man wahrscheinlich in das Büro eines dicklichen Polizeibeamten geführt worden, der einem mit einem Kopfschütteln bedacht und ins Gewissen geredet hätte, um einen dann laufen zu lassen. Hier jedoch grenzte es an Hochverrat. Es war nicht schlau, sich mit der Föderation anzulegen, insbesondere nicht mit dem Autochtonischen Amt Argons. Die Kompetenzen des AAA waren unklar und seine Säuberungsabteilung war offiziell zu Beginn des Krieges aufgelöst worden. Aber jeder wusste doch zumindest, dass die Kompetenzen des Amtes noch stets weit über seine vermeintliche Aufgabe hinausgingen, Lehrmaterialien zusammenzustellen und zu verbreiten. Wer glaubte, glaubte zu wissen. Der Weg von der These zum Dogma war ein kurzer. Wahre und falsche Wahrheiten taten sich darin gleich, ebenso allen Ideologien als weltliche Religionen und alle Religionen als transzendente Ideologien. Wofür also dieses Abenteuer? Samuel hatte sich selber nie für sonderlich gläubig gehalten. Wenn es aber kein Glaube war, folglich auch keine Loyalität zu den Gonern und keine Hoffnung auf das, was sie verhießen, was war es dann, das ihm hierher geführt hatte?
Zwei Millionen Yen waren eine Stange Geld für einen kleinen Salzschmuggler aus den Freien Kolonien. Aber dafür? Samuel hatte das bislang geglaubt. Doch als vor ihnen schließlich der mächtige Leib des Raumschiffes zwischen den Baumstämmen emporzuwachsen begann, im wabernden Licht der matten Bodenscheinwerfer nur mäßig, aber doch kunstvoll illuminiert, da merkte Samuel, dass er ganz andere Gründe hatte hier zu sein. Ein ehrfürchtiges Schaudern durchlief ihm. Er musste sich zwingen, nicht zu weinen. Er wollte hier sein, schon seit seiner Kindheit. Hier, hier unten, nicht oben auf der Aussichtsplattform der fernen Klippe. Er wollte hier sein, denn nicht allein seine Auftraggeber, auch er, er selbst, wollte hier sein. Der Teil von ihm, der immer hatte glauben wollte, doch nie glauben können, wollte sich nicht die Chance entgehen lassen, zu wissen. Er hatte gewusst, was ihr Ziel war, und doch viel es seinem Verstand schwer, es wirklich zu erfassen. Er war hier. Vor ihm das Schiff. Das Schiff! Die USCSS Dragonfyre.
Entwurf Vier wrote:Schleichwege

Ein dissonates Summen legte sich über das ewig gleiche Geräusch der pausenlos arbeiteten Energiekonverter. Das Wecksignal. Samuel öffnete die Augen. Ein Asteroid sauste vorbei. Und noch ein Asteroid und noch einer. Das Bild der Bugkamera, das auf dem Monitor in der Decke seiner Schlafkoje wiedergegeben wurde, war eintönig, fast schon einschläfernd. Er blinzelte den Schirm an, vielleicht sollte er sich wirklich noch ein paar weitere Minuten aufs Ohr hauen. Die Verhandlungen auf Wolkenbasis Zwei hatten lange gedauert. Der Bewahrer der Gunner hatten das Treffen nach Portasal-Zeit angesetzt, dem Standardwert im salterranischen Raum. Für den Bewahrer war später Vormittag gewesen, für Samuel hingegen, der nach enargunnischem Standard lebte, also der Zeit von Argunnia City, lag das Treffen mitten in der Nacht.
Er zwang sich dazu, sich aufzurichten. Es war Zeit aufzustehen, egal wie müde er war. Gähnend streckte er sich. Das würde ein ganz hervorragender Tag werden, wusste er schon jetzt, denn Schlafmangel verursachten bei ihm immer Kopfschmerzen. Gut, es gab Tabletten, aber an die musste man auch erst einmal kommen. Schließlich fielen alle pharmazeutischen Produkte unter das Ausfuhrverbot der Föderation. Er grinste schief. Zum Glück gab es ja Schmuggler.
Auf dem Weg zur Bordküche kam er an der schmalen Nische vorbei, in der ein einsames Trainingsgerät nur deswegen nicht verstaubte, weil es aus staubabweisenden Material gefertigt war. Eigentlich hätte Samuel viel mehr Sport treiben müssen. Bewegungsmangel war großes Problem unter den Frachtschiffpiloten der menschlichen Sektoren. Früher war er den empfohlenen, täglichen Übungen ordentlich nachgekommen. Teils aus Langeweile, in erster Linie aber weil er es vom Militär her so gewohnt gewesen war. Er zuckte mit den Schultern, er erachtete sich hinreichend fit, sein Tagewerk zu erledigen. Ob er noch die Kondition besaß, die er als Leutnant der Reserve haben sollte, war hingegen fraglich. Allerdings hatte er jede Hoffnung auf eine Wiederindienststellung längst begraben. Als die Maschinen vor drei Jahren überraschend neue Vorstöße nach Pitcairn V unternommen hatten, hatte die aufgeschreckte Föderation hektisch Soldat um Soldat zusammengekratzt. Ihn, den Gunner, hatte man dabei auffällig übersehen.
In der Küche erwartete ihn der Duft eines vom Küchenautomaten frisch aufgebrühten Javas und eines käsegefüllten Bunyos. Das erinnerte ihn daran, dass er die Frühstücksautomatik an sich neu programmieren wollte. Denn der Java, den der Automat fabrizierte, schmeckte derart furchtbar, dass Samuel ihn gelegentlich als biologische Waffe bezeichnete. Nichtsdestotrotz nahm Samuel die Tasse mit der dampfenden schwarzen Flüssigkeit gierig an sich, und schlürfte an dem bitteren Gebräu, das ihm immerhin half wach zu werden.
„Hesekiel!“, rief er nach dem Bordcomputer. Samuel hatte das Elektronengehirn der Chuzpe so genannt, weil dessen Hauptfunktion darin zu bestehen schien, unangenehme Dinge anzukündigen. „Wie sieht's aus?“
„Guten Morgen, Greenwald-sama.“, ratterte der Computer betonungslos herunter: „Es ist 6:47 Bordzeit. Systemstatus optimal. Position Sektor Erzgürtel, Ziel Planet Jurate. Noch fünfzehn Minuten dreiundzwanzig bis zur nächsten notwendigen Kurskorrektur. Momentan passieren wir den Kleinplaneten FL 9783833212048. Keine Einheiten enargunnischer Polizei- oder Zollbehörden geortet.“
Samuel zog ein zweites Bunyo aus dem Küchenautomat. „Irgendwelche sonstigen besonderen Vorkommnisse?“
„Positiv! Mineralogische Anomalien in zwei Asteroiden entdeckt, Abweichung von den in offiziellen Datenbänken spezifizierten Werten.“
„Unfassbar.“, murmelte Samuel gelangweilt und gähnte herzhaft. Der Erzgürtel war ein breiter Ring aus Asteroiden, die auf mehr oder weniger festen Umlaufbahnen das Zentralgestirn dieses Raumsektors zwischen dritten und vierten Planeten umkreisten. Man war stets davon ausgegangen, dass sich wirtschaftlich interessante Bodenschätze in den unzähligen Kleinplaneten des Gürtel befinden müssten und hatte ihm daher vor vielen Jahrhunderten den programmatischen Namen Erzgürtel gegeben. Gigantische Bergbaukomplexe wurden geplant, verworfen und vergessen. Das Sternensystem war letztlich zu abgelegen. Es lag zwar auf dem direkten Weg zwischen den Wolkenbasen Zwei und Drei und war während des großen Völkerkriegs eine der Hauptkampfzonen gewesen, doch heute - fast hundert Jahre nach Kriegsende - war diese Verbindung wieder praktisch bedeutungslos. Ordentlich kartographiert war der Erzgürtel daher nie geworden, was sich nicht zuletzt darin äußerte, dass die hiesiegen Asteroiden - wenn überhaupt - nur mit Registernummern versehen waren und nicht mit Namen. Und die wenigen Messdaten über die Himmelskörper stammten auch noch aus der Kriegszeit, als man mit militärischer Paranoia hinter jedem dritten Asteroiden einen paranidischen Außenposten vermutet hatte. Das war früher, nun ignorierte die NR-Gunne-Föderation den Erzgürtel, während die Freien Planeten wie Salterrae oder Aldrin nicht über die notwendigen Mittel verfügten, sich das System zu erschließen. Allerdings führte stattdessen durch den Erzgürtel eine Reihe der wichtigsten Schmugglerpfade, welche den Fusa, die Große Interstellare Blockade, zu durchbrechen versuchten.
Samuel schüttelte sich, nachdem er mit einen langen Zug den nicht mehr ganz so warmen Rest seines Javas hinuntergekippt und damit sein Frühstück beendet hatte. Zum Zeitpunkt der erforderlichen Kurskorrektur wollte er in der Zentrale der Chuzpe sein. Natürlich würde Hesekiel die Korrektur auch ohne ihn vornehmen können, aber Samuel überwachte derartiges lieber selber. Schließlich wusste die Menschheit inzwischen, das es nicht gut war, automatisierte Einheiten zu lange unbeaufsichtigt zu lassen. Der Gedanke, an sich als Scherz gedacht, versetzte ihn sogleich einen Stich. War es Trauer, war es Scham? Mit der Erde macht man keine Witze, hatte seine Mutter immer gesagt. Er sah diese ganze Erdsache nicht so eng, ebenso wie den Glauben seiner Eltern.
Wenn er Gunnern begegnete, ging er ihnen lieber aus dem Weg als mit ihnen gesehen zu werden. Es sei denn natürlich, dass diese einen Auftrag für ihn hatten und auch bereit waren, dafür zu bezahlen, fügte er in Gedanken hinzu. Er erinnerte sich daran, wie heftig er protestiert hatte, als ihn seine Kameraden bei der Truppe einen Gunner genannt hatten. Denn dies war in ihren Augen gleichbedeutend mit einem ungebildeten Dummkopf, einem naiven Irren der an Ammenmärchen glaubte. Damals hatte er nicht absehen können, welche personellen Konsequenzen dies nach sich ziehen würde. Denn offiziell war in der Föderation jede Diskriminierung der Gunner streng verboten. Und daran hatte Samuel geglaubt. Vielleicht war er tatsächlich ein naiver Dummkopf.
War er ein Gunner? Die Frage beschäftigte ihn unter der Dusche, wo er zu wenig geistige Zerstreuung hatte, um sie zu verdrängen. Laut den Hütern der Wahrheit, den führenden Köpfen der Gunner, galt man nur dann als Mitglied, wenn man sich bemühte, andere Menschen von der Existenz der Erde zu überzeugen. Hätte jemand Samuel gefragt, welcher der Heimatplanet der Menschheit sei, hätte er die Erde genannt und nicht NR-Gunne-Prime. Aber das war wohl nicht in dem Sinne ein Bemühen, Menschen zu überzeugen. In den Augen des durchschnittlichen Einwohners der Föderation hingegen war ein Gunner schlicht jemand, der an die Erde glaubte.
Und das tat Samuel. Er glaubte, dass sie existiert, oder mehr noch, er wusste, dass sie existiert. Schließlich waren die Gunner eine Wissensgemeinschaft, wie sie stets betonten, und lehrten nur Fakten. Fakten, die sie nicht beweisen konnten. Konnten sie dann noch Fakten sein? Was wussten die Gunner wirklich, und was glaubten sie nur? Samuels Vater hätte sich auch darauf versteift, nicht allein an die Existenz seines Gottes zu glauben, sondern darum zu wissen. Für ihn wäre es ein Fakt gewesen. Samuel fand das alles sehr verwirrend. Er erinnerte sich an die Gespräche mit seinen Freund Pedro, der einmal meinte, die hundertprozentige Unterscheidung von Glauben und Wissen sei etwas für Leute, für die Philosophie so etwas wäre wie Skier. Gelegentlich hätten sie großen Spaß daran, sie zu benutzen, für gewöhnlich schlössen sie sie aber in irgendeinen Schuppen.
An sich zählte sich Samuel selber auch zu diesen Leuten, weshalb er beschloss, sich nicht weiter den Kopf darüber zu zerbrechen. Er trocknete sich nur mäßig ab und ging nur mit einem Handtuch bekleidet in die Zentrale des Schiffes hinüber. Hinter ihm surrte er kleiner Reinigungsbot herum, um die feuchte Fußspur aufzuwischen, die der Pilot hinterlassen hatte. Die meisten modernen Raumschiffe waren mit Schallduschen ausgestattet. Das hatte viele Vorteile, angefangen bei dem Raumgewinn durch den Wegfall einiger Wassertanks und Aufbereitungsanlagen. Anderseits war der Einbau phonetischer Duschen kostspielig.
Samuel hatte hingegen aus anderen Gründen eine Wasserdusche. Denn er hatte durchaus Interesse an deren Tanks. Sie waren ein optimales Versteck für gorrumischen Whisky. Schließlich war er ein alter Hase im Geschäft und nicht so dumm, den Whisky in den Treibstofftanks zu transportieren, wie es viele andere taten. 'Raumsprit' war während der letzten Jahrzehnte praktisch ein Synonym für Whisky geworden. Aber natürlich war dieser Name auch der Polizei bekannt.
Draußen vor der großen Cockpitscheibe war weiterhin nicht viel zu sehen. Im Licht der Schiffsscheinwerfer und der lokalen Sonne ließen sich noch stets die schwachen Schemen etlicher naher Gesteinsbrocken erkennen, die rasch vorüberzogen. Es schien als würde ein Meteoritenschauer auf das Schiff zustürzen, tatsächlich aber stürzte das Schiff durch das Feld der Asteroiden. Nachdem sie zeitweise auf sieben Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt hatte, bremste die Chuzpe aktuell wieder stark ab, um ein gefahrloses Wendemanöver am Boomerang Rock durchzuführen und dabei erneut zu beschleunigen.
Das war weder der treibstoffsparendste noch der schnellste Weg in den Orbit von Jurate, wusste Samuel. Effizienter wäre es gewesen, vom Betasprungtor kommend sich zunächst von Jurate zu entfernen und den inneren Teil des Sternensystems zu steuern, ein Swing-by Manöver um den Planeten Sutton durchzuführen und sich von dort wieder ins äußere Sonnensystem zurück und auf den Gasriesen zu schleudern zu lassen. Doch ein solches Manöver wäre den Überwachungssatelliten der Föderation, den berüchtigten Argunns Augen, auf keinen Fall entgangen. Und in Samuels Geschäft wurde man nur ungern gesehen.
Kaum mehr zwei Minuten Flugzeit trennten die Chuzpe von dem Kleinplaneten Boomerang Rock, der wegen seiner Größe und seiner ungewöhnlichen Form einer der wenigen benannten Objekte im Gürtel dargestellte. Angeblich hatte Nathan R. Gunne selbst den Himmelskörper so getauft, allerdings war dies eine der unzähligen Anekdoten um den Helden des Terraformerkriegs, deren Wahrheitsgehalt auch von vielen Gunnern in Zweifel gezogen wurde.
„Strahlungsquellen entdeckt, Analyse in Arbeit.“, meldete Hesekiel plötzlich.
„Bitte was?“, fragte Samuel. Hier draußen sollte es keine Strahlungsquellen geben. „Lokalisieren!“, verlangte der Pilot.
„Lokalisation: zwei separate Strahlungsquellen geortet auf der Oberfläche von Boomerang Rock. Positionen deckungsgleich mit zwei mineralogischen Anomalien. Schließe auf künstliche Strukturen, optische Sensoren bestätigen Raumfahrzeuge unbekannten Typs als Ursache der Anomalie und Strahlungsquelle.“ Zur Untermalung verdunkelte Hesekiel die Frontscheibe und projizierte darauf stattdessen Bilder von der Oberfläche des Planetoiden. Deutlich konnte Samuel die zwei gelandeten Schiffe erkennen, deren Unterseiten im Schein anlaufender Ionentriebwerke zu glühen begannen. Die Raumer sahen aus wie Messer oder wie sehr langgezogene Pfeilspitzen. Samuel wusste, was dies bedeutete.
„Hesekiel, sind das Split?“, fragte er erbleichend, obwohl er die Antwort schon kannte.
Sie überraschte in dennoch. „Gefechtsalarm!“, sagte der Computer emotionslos wie immer. Er bezog sich damit nicht auf Samuels Frage, sondern das Lenkgeschoss, das von einem der beiden Raumer auf dem Bildschirm gelöst hatte.
„Gefechtsalarm, klar.“, brummte Samuel. Die Chuzpe war ein Frachter, sie besaß nur ein einzelnes Lasergeschütz im Heck. Damit konnte man sich vielleicht gegen Möchtegernpiraten verteidigen, nicht aber gegen die Jagdraumschiffe einer kriegerischen Spezies. Samuel schwang sich auf den Platz des Copiloten, von wo aus er das Heckgeschütz steuern konnte. Hesekiel rückte die Bilder der herannahenden Feindschiffe in die rechte untere Ecke der Frontscheibe und projizierte stattdessen das Bild der rückwärtigen Kamera in die Mitte.
„Sofortiger Kurswechsel Richtung Jurate, volle Kraft!“, befahl Samuel.
„Ein sofortiger Kurswechsel würde unseren Treibstoffverbrauch um zwanzig Proz...“, begann der Computer einzuwerfen.
„Hesekiel!“, schrie der Pilot. Auf den Schirm wirbelten die Lichtpunkte der Sterne und Asteroiden herum, woran Samuel sehen konnte, dass der Computer der Richtungsänderung endlich nachkam. Das taktische Unverständnis seines billigen, kommerziellen Computers, hatten ihn nun schon zwei Sekunden gekostet. Dies allein mochte schon sein Schicksal besiegelt haben. Samuel spürte wie er in den Sicht gepresst wurde. Die plötzliche Beschleunigung überforderte die Inertiakompensatoren für einen winzigen Augenblick um wenige Prozent, so dass die Trägheit nicht vollständig ausgeglichen werden konnte. Zwei der Lichtpunkte auf dem Schirm bewegten sich anders als die Anderen, die feindlichen Schiffe. Hesekiel markierte sie mit roten Kreisen. Auf dem Gravitationsradar blinkten drei rote Punkte, die sich dem Koordinatenursprung der dreidimensionalen Anzeige näherten. Zwei langsam, und einer sehr schnell.
Die Rakete! Samuel ließ Hesekiel ihre Flugbahn einblenden und feuerte dorthin. Der sechste Schuss traf, das Geschoss explodierte einige tausend Meter entfernt ohne Schaden anzurichten. Als Antwort deckten die Angreifer die Chuzpe mit einem roten Strahlengewitter aus ihren Partikelkanonen ein. Samuel sah die blitzenden Entladungen, welche die Einschläge in den Schilden seines Schiffes verursachten. Das schützende Energiefeld gab bereits nach, obwohl die Verfolger noch entfernt waren und nur wenige Treffer erzielten.
Samuels Gedanken rasten. Was machten die Split im Erzgürtel? Er hatte schon davon gehört, dass im Raum der gefürchteten Kriegerspezies einmal mehr ein Bürgerkrieg herrschte und so manche ihrer Kriegsfürsten, die sich Patriarchen nannten, zur Finanzierung ihrer Unternehmungen Raubzüge in die Sektoren der Gründergilde aufgenommen hatten. Allerdings hatte er gedacht, das Problem beschränke sich auf die nach wie vor nur spärlich gesicherten Sternensysteme der Boronen, vielleicht noch auf grenznahe Sektoren wie Wolkenbasis Vier oder Antigone Memorial. Alle anderen menschlich besiedelten Raumregionen hätten von der Föderationsarmee hinreichend geschützt sein müssen.
Ein Volltreffer erschütterte den Frachter und warf Samuel beinahe vom Sitz. Vielleicht sollte er die Frage, warum die Split hier waren auf später verschieben und sich zunächst mit ihrer Anwesenheit selbst beschäftigen. Er begann das Laserfeuer zu erwidern. Seine militärische Ausbildung kam ihm zu Pass. Er traf gut, richtete allerdings keinen merklichen Schaden an.
Die beiden Feindschiffe trennten sich. Eines begann seine Fahrt stark zu drosseln, das andere beschleunigte weiter auf die Chuzpe zu, als wolle es den Frachter rammen. Samuel fand nicht, dass dies viel Sinn machte. Schließlich war den Fremden der Sieg sicher. Erhöhtes Risiko war nicht erforderlich, anderseits waren die Split nicht gerade für ihr rationales Verhalten berühmt. Auf dem Bild der Heckkamera saß Samuel den Jäger heranstürmen. Es wurde größer und größer. Aus unklarer Motivation hatte es den Beschuss eingestellt, was den menschlichen Piloten nicht davon abhielt das Schiff konstant weiter zu beschießen. Diesmal hatte es zumindest minimale Auswirkungen. Noch immer näherte sich der Angreifer mit unglaublicher Geschwindigkeit. Schon konnte Samuel die verdunkelte Cockpitscheibe erkennen, bald darauf fremdartige Schriftzeichen auf der Hülle. Der Angreifer war nun so nah, dass sich Samuel in Erwartung der Kollision reflexartig verkrampfte und die Augen verschloss.
Doch nichts geschah. Der Pilot zwang sich, die Augen wieder zu öffnen. Das Schiff war nicht mehr zu sehen. Schnell überprüfte er das Gravitationsradar. Der Jäger hatte ihn nicht gerammt, sondern war knapp unter der Chuzpe hindurch getaucht und raste nun vor ihr her. Der zweite Split erhöhte sein Tempo wieder und schloss auf. Samuel begriff die Absicht der Angreifer augenblicklich. Sie hatten erkannt, dass er nur in eine Richtung feuern konnte, und hatten sich daher aufgeteilt, damit einer von ihnen ihm stets von einer ungedeckte Seite attackieren konnte. Das verschaffte ihm eine Gnadenfrist von etwa zwei Minuten, die der vorausjagende Angreifer für sein Wendemanöver benötigen würde. Aber danach würde es endgültig kein Entrinnen mehr geben.
Da kam ihm ein Gedanke. Was wollten die Split? Wenn sie hier waren als Piraten und Plünderer, konnte es kaum ihre Absicht sein, sein Schiff zu pulverisieren. Möglicherweise ließen sie mit sich reden. Zumindest müssten sie eine Kapitulation akzeptieren. Samuel befahl Hesekiel eine Sprechverbindung mit dem Splitraumer hinter ihnen aufzubauen. Er musste sich ergeben, auch wenn ihm klar war, dass die Split keinen Grund haben würden, ihn am Leben zu lassen, sobald sie Schiff und Ladung erst einmal in ihren Besitz gebracht hatten.
Der Ruf wurde angenommen. Links unten auf der Frontscheibe erschien das Gesicht des fremden Piloten. Hätte Samuel es nicht besser gewusst, er hätte es vielleicht für jenes eines sehr kranken Menschen gehalten. Die Haut des Split war nikotingelb und fleckig. Sie wirkte rau, fast schon spröde und brüchig. Vereinzelte Büschel weißen Haares wuchsen dem Fremden vom Kopf, Kinn und Backen zierte ein gleichsam weißer Bart. Eine platte Nase, die unterhalb der Löcher nicht endete wie bei Menschen, sondern sich wieder gekrümmt zurückbog, um in der Oberlippe auszulaufen, vollendete das Bild.
Samuel verlor keine Zeit: „Ich ergebe mich Euch, Split!“
„Ghiv t'thalgh-mo! Ghiv t'thalgh-mo!“, schrie dieser.
„Was will der?“, murmelte Samuel.
Hesekiel interpretierte die Frage korrekt als an ihn gerichtet: „Unklar. Ihr Gesprächspartner bedient sich einer Splitsprache oder einem Dialekt, deren Vokabular nicht Bestandteil meiner linguistischen Datenbanken ist. Allerdings lassen sich Ähnlichkeiten mit dem mir bekannten Craku darauf schließen, dass man Sie auffordert, in einer Ihrem Gegenüber geläufigen Sprache zu kommunizieren.“
Trotz der ernsten Lage entlockte die Absurdität dieser Situation Samuel ein kurzes Lachen. Doch ein erneuter schwerer Treffer erstickte es schnell. Der Jäger, der die Chuzpe überholt hatte, hatte sein Wendemanöver beendet und kam noch zurück. Von vorn und hinten hämmerten jetzt die Energieblitze auf den Frachter nieder. Die Schilde hatten bereits ein Drittel ihrer Stärke verloren. „Hesekiel, schnell: Was heißt 'Ich ergebe mich!' in diesem Craku?“
Der Computer sprach den Satz leise vor und Samuel versuchte ihn möglichst exakt nachzusprechen. Der Effekt war indes nicht der Gewünschte. Der Split auf im Kommunikationsfenster stieß brüllend einen Stoß Silben aus, von denen sich Samuel nicht vorstellen konnte, dass sie zu irgendeiner Form von Sprache gehörten. Dann hob er Split seine linke Hand ins Bild und formte mit seinen sechs Fingern eine Geste, deren Sinn sich dem Menschen ebenso entzog wie jener der Laute. Dann unterbrach der Fremde die Sprechverbindung.
Soviel zur Diplomatie. Beide Angreifer rasten wieder auf die Chuzpe zu und nahmen sie in die Mangel. Samuel musste sich etwas einfallen lassen, insbesondere da die Sensoren zwei weitere sich nähernde Schiffe aufgespürt hatten, die in wenigen Minuten eintreffen würden. Sie kamen von irgendwoher aus dem äußeren Sonnensystem, womit praktisch auszuschließen war, dass es um Militär- oder Polizeieinheiten handelte.
Da hatte Samuel eine Idee. Die Chuzpe war wendiger als andere Frachter dieser Größe, wenngleich bei weiten nicht so beweglich wie die agilen Kampfschiffe der Verfolger. Er wies Hesekiel an, unmittelbar bevor die beiden Splitjäger sie erreichten, direkt vom vollen Vorwärtsschub auf maximalen Bremsschub umzuschalten und die Chuzpe nach oben ausbrechen zu lassen. Samuel überging den Einwand des Computers, ein solches Vorgehen sei angesichts der Leistung der Inertiakompensatoren unzulässig, und wiederholte seinen Befehl. Dann legte er den Sicherheitsgurt des Copilotensitzes an und nahm den Beschuss des Schiffes hinter der Chuzpe wieder auf.
Schließlich war der Moment gekommen. Erwartungsgemäß konnten die Kompensatoren die Trägheitskräfte des radikalen Tempo- und Kurswechsel nicht vollständig abfangen. Samuel wurde nach vorne in die Gurte geschleudert, welche ihm die Luft abpressten, so dass er für einige Augenblicke das Bewusstsein verlor.
Die furchtbaren Schmerzen halfen ihm, sich - nachdem er wieder erwacht war – umgehend zu orientieren. Er fühlte sich elend. Kräfte von weit über fünf G hatten auf seinen Körper gewirkt und seine inneren Organe kurzfristige zusammen gedrückt. Die Gurte hatten tiefe Schnittwunden in seine ungeschützte Haut gezogen und ihm mindestens eine Rippe gebrochen. In seinem Mund schmeckte er Blut, das er reflexartig ausspuckte. Sein Mageninhalt folgte dem Blut auf der Stelle. Das Schlimmste aber war das Gravitationsradar. Das riskantes Manöver war ohne jeden Erfolg geblieben. Die Verfolger waren nicht, durch das plötzlich zwischen ihnen verschwindende Ziel irritiert, ineinander gerast, sondern waren einander problemlos ausgewichen und steuerten die Chuzpe nun wieder ein weiten Parabelbahnen an. Benommen und müde verfluchte Samuel sich selbst. Hatte er wirklich geglaubt, dass es funktionieren würde? Wahrscheinlich sah er zu viele schlechte Holovids.
Während seiner Bewusstlosigkeit hatte Hesekiel auch die Kontrolle des Heckgeschützes übernommen. Samuel machte keine Anstalten, sie wieder in eigene Hand zu nehmen. Erschöpft und resigniert stierte er auf den Bildschirm und verfolgte, wie seine Bordkanone wie von Geisterhand geführt die Split mit Schüssen eindeckte, die weiterhin kaum Wirkung zeigten. Indes war die Schildstärke der Chuzpe unter zwanzig Prozent gefallen. Backbord stürzte ein weiterer Asteroid am Schiff vorbei. Seine schrumpelige grauweiße Oberfläche wuchs am rechten Bildschirmrand in die Höhe. Hesekiel hatte die Chuzpe nur in wenigen Metern Abstand an dem Himmelskörper vorbei gesteuert, um durch ihn eine wenig Schutz zu gewinnen.
Ein plötzlicher Einfall ließ Samuel aus seiner Lethargie erwachen. Er riss die Waffenkontrolle an sich und wartete bis die Verfolger über dem Horizont des allmählich entschwindenden Asteroiden auftauchten, dann feuerte er eine Salve auf dessen vereiste Oberfläche ab. Gefrorenes Wasser und Stickstoff verdampften in der Hitze des Lasers in wenigen Picosekunden und breiteten sich explosionsartig aus. Die Gaswelle schob sie von ihren Kurs ab. Nur minimalst, doch durch die sich gleichzeitig um die Schiffe herumlegende Materiewolken wurden deren Gravitationssensoren für einen winzigen Moment gestört, was eine weitere Kursabweichung zur Folge hatte. Einer der beiden Jäger schrammte daher nun seitlich über den Asteroiden. Eines seiner Triebwerke wurde dabei abgerissen und der Pilot verlor die Kontrolle über sein Schiff. Das verbliebene Triebwerk schleuderte den Jäger noch einmal kurz von dem Gesteinsbrocken fort, bis er, wild um mehrere Achsen wirbelnd, endgültig eben dort aufschlug und in einem Feuerball verging.
„Yatta!“, jubelte Samuel begeistert. Doch seine Freude wehrte nur kurz. Der zweite Split hatte ihn eingeholt und feuerte aus allen Rohren. Seine Treffsicherheit hatte sich schlagartig deutlich gesteigert. Bislang hatten der fremde Krieger nur mit seiner Beute gespielt, jetzt war er wütend. Zwei weitere Lenkgeschosse lösten sich von seinem Schiff und rasten auf die Chuzpe zu. In weniger als einer Minute würden sie in den malträtierten Schutzschilden einschlagen und diese endgültig kollabieren lassen. Unwesentlich früher würden die beiden anderen Schiffe die Chuzpe erreichen, die ihr aus Richtung des äußeren Systems entgegen kamen und in diesem Augenblick ihre Waffen aktivierten. Hesekiel konnte sie inzwischen als nicht registrierte Raumfahrzeuge menschlicher Bauart identifizieren, wahrscheinlich Piraten.
Samuel ließ die Hände von den Kontrollen gleiten. Er konnte nichts mehr. In 42 Sekunden würde sein Leben sinnlos enden. Seltsamerweise empfand er keine Panik, zu absurd wirkte auf ihm der Gedanke nur mit einem Handtuch bekleidet zu sterben.
Entwurf Fünf wrote:Fusa

„Was? Wie?“ Schlagartig war Samuel wach und sah sich verwundert um. Er saß auf dem Boden des Cockpits, direkt vor dem Pilotensessel. Er musste eingenickt und hinab gerutscht sein. Er rappelte sich wieder auf und gratulierte sich im Stillen zu seinen Nerven. Während einer Verfolgung einzuschlummern war auch ihm bislang noch nicht gelungen.
„Wie lange war ich weg, Hesekiel?“
„Meinen Daten zufolge haben Sie das Schiff nicht verlassen, Greenwald-sama.“, entgegnete der Bordcomputer.
Samuel verdrehte die Augen. Warum waren die kommerziellen Computermodelle nur immer so schwer von Begriff. Wehmütig dachte er an die leistungsstarken KIs zurück, mit denen er beim Militär gearbeitet hatte. Eigentlich erinnerte sich Samuel an alles aus seiner Militärzeit mit Wehmut. Seitdem der Krieg vorbei, war es mit ihm im Groben und Ganzen nur noch abwärts gegangen. Naja, dachte er sich, dem Rest des Universums ging es auch nicht besser. Nicht einmal Jorge. Er konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Den Anzeigen zufolge konnte er nicht lange geschlafen haben. Dafür sprach auch seine weiterhin merklich große Müdigkeit. „Nee, ich brauch nen Java.“, murmelte er sich den Kopf reibend. Wie lange war er jetzt unterwegs gewesen? Zwei Tage? Davon mehr als die Hälfte der Zeit auf der Flucht. Die Grenzen der Föderation schienen Woche für Woche besser bewacht zu sein. Argon machte ernst mit der Fusa. Die Blockade war immer schwerer zu umgehen, bald würde er seine Fahrten einstellen müssen. Ansonsten würde er sich früher oder später auf Artur wiederfinden und im eisigen Klima der Strafkolonie nach Titanium graben. Die Zeit der Schmuggler neigte sich ihrem Ende zu. Wer es heute noch zu etwas bringen wollte in den Freien Sektoren musste auf Piraterie umsteigen. Dafür aber brauchte man ein Kampfschiff und nicht einen alten Frachter wie Samuels AP Chuzpe.
Er schlurfte zum Getränkeautomaten hinüber, zog seine Tasse heran, in deren Ablagerungen man wahrscheinlich inzwischen auch schon nach Titanium schürfen konnte, und hieß dem Apparat, die schwarze Brühe zuzubereiten. „Hesekiel, was machen unsere Verfolger?“
„Darüber liegen mir keine Daten vor.“
Samuel grunzte. Es wurde wirklich Zeit für den Java, die Begriffsstutzigkeit seines Computers erforderte seine volle Konzentration. Ein kurzen „Pling“ signalisierte, dass das Getränk fertig und eingegossen war. Zunächst nippte Samuel nur vorsichtig ein paar Male von der noch heißen, bitteren Flüssigkeit, dann erlaubte er sich einen kräftigeren Schluck. Sofort fühlte er sich reger und Hesekiel gewappnet: „Haben unsere Verfolger wieder aufgeholt? Sind sie wieder in unserer Ortung?“
„Negativ, Greenwald-sama. Der letzte Ortungskontakt liegt fünf Stunden 43 Minuten zurück.“
„Gut, informiere mich, sobald es wieder einen Kontakt gibt.“
Fast sechs Stunden, dachte Samuel. Die Tasse in der Hand kehrte er zu seinen Kontrollen zurück und setzte sich wieder in den Pilotensessel. Die Patrouillen verfügten über die neueste militärische Ausrüstung, die Reichweite ihrer Sensoren würde jener der Chuzpe weit überlegen sein. Zudem konnten sie auf die berüchtigten 'Argons Augen' zurückgreifen und niemand konnte mit Gewissheit sagen, welchen Raum genau dieses Netz von Überwachungssatelliten abdeckte. Trotzdem: fast sechs Stunden. Samuel hielt es nicht für wahrscheinlich, dass die Patrouille seinen Kurs so lange verfolgt und ihm dennoch nicht gestellt hatte. Folglich mussten sie seine Spur verloren haben oder hatten die Verfolgung eingestellt. Denn auch für die Einheiten der Fusa lohnte es sich nicht, einen einzelnen Mercator-Frachter tagelang durch die Leere des Alls zu scheuchen, selbst wenn dieser vollständig aus Salz gewesen wäre.
Samuel rief die Karte des Sternensystems auf seinem Bildschirm auf. Ein einsamer grüner Punkt markierte die Chuzpe, die sich mitten im Irgendwo befand. Jenseits der Umlaufbahn Rasnars, des fünften Planeten, den das Sprungtor nach Argon Prime umkreiste, war Heimat des Lichts ein wilder, unbewohnter Sektor. Aufgrund der unklaren politischen Lage sandten nicht einmal die großen Bergbaukonsortien ihre Erkundungssonden dorthin. Samuel schloss nicht aus, dass er der erste Mensch wäre, der in den Raum zwischen den Bahnen von Sobek und Jurate, des siebten und achten Planeten, vorstieß. Das war ein erhebendes Gefühl.

Boro Pi
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Aller Anfang ist viel

Post by Boro Pi » Mon, 4. Nov 13, 20:41

Schau an, passt nicht einmal alles in einen Beitrag.
Fortsetzung wrote:Er fühlte sich an die Begeisterung erinnert, mit welcher er in seiner Kindheit den abenteuerlichen Weltraumgeschichten gelauscht hatte, die seine Eltern ihm erzählten. Er hatte gierig noch das kleinste Fitzelchen an Information über die großen Pioniere wie Nathan Ridley Gunne, René Farnham oder Iosea Bipecku aufgesogen. Unerschütterliche Goner waren seine Eltern gewesen. Das war auch einfach in der Abgeschiedenheit unten auf Ringos Mond, wo der Himmel weit war und die Sterne fern. Samuel aber war in seinem Leben schon weit herumgekommen, während des Krieges war seine Einheit tief in die unbekannten Sektoren der Xenon vorgestoßen. Er hatte Taurus gesehen und andere der 'Alten Welten' aus den Erzählungen der Goner. Karge, öde Planeten, bar jeder Spur vormaliger Besiedelung, dafür aber fest in der Hand der Maschinen. Diese trostlosen Welten zu sehen hatte ihn sehr erschüttert. Er konnte sich nicht vorstellen, dass dies der Weg sein mochte, auf dem die Menschheit dereinst zu den Sterne vorgestoßen war. Es musste stimmen, was die Anderen sagten: Die Menschen hatten keinen mythischen, fernen Ursprung. Die 'Erde' war ein Hirngespinst unverbesserlicher Träumer und abergläubischer Spinner.
Entwurf Sechs wrote:Fusa

Ohne jede Vorwarnung war die Plasmaladung abgefeuert worden. Noch hatte das Schildgitter der AP Chuzpe die Schüsse vollständig kompensieren können, fortgesetzt würde das Frachtschiff einem solchen Beschuss derweil nicht stand halten. An den Tresen der Raumfahrerkneipen war Samuel bereits allerhand über das ungebührliche Vorgehen zu Ohren gekommen, das den Mannschaften der Patrouillenkreuzer zu Eigen war. Er selbst hatte in den letzten Jahren gleichsam schon seine Erfahrungen mit den Verbänden der Fusa sammeln können. Derartiges jedoch war bislang nie da gewesen. Bisher hatten die Patrouillen nicht grundlos Frachter unter Beschuss genommen. Vor allem nicht, wenn diese in der Föderation registriert waren. Etwas hatte sich geändert, hatte die angespannte Lage an der Ersten Grenze weiter verschärft. Unwillkürlich kamen Samuel die Gerüchte aus dem aldrianischen Raum in den Sinn, die seit knapp einer Woche die politischen Magazine bestimmten. Nachdem er auf das Wrack gestoßen war, hatte er es Pläne schmiedend versäumt, sich weiter auf dem Laufenden zu halten.
Das Wrack. Es war nun dringlicher als zuvor, dass er es alsbald untersuchte - und zwar bevor er den Fund meldete. Das Havariegesetz würde ihm freilich die Bergungsrechte sichern, doch das war faktisch wertlos, wenn die Agenten des Autochtonischen Amtes das Schiff vor ihm durchstöbern würden. Denn diese suchten nach den selben Antworten wie er. Selbst wenn Samuel vermutete, dass die Zweifel, von denen sie ausgingen, andere waren. So man im Amt denn überhaupt Zweifel an den Wirklichkeiten hatten. Samuel indes plagten Zweifel, seitdem er dem Alter der Kindheit entwachsen war, in dem man unbefangen akzeptiert, was einem die Eltern lehren. Es stand zu vermuten, dass die Patrouille die Chuzpe aus der Handvoll Frachtern, die durch den Sektor Heimat des Lichts dümpelten, ausgewählt hatte, weil er aus unbewohnten Gebiet kam. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Behörden dieses Gebiet, den Raum um den Gasriesen Jurate, genauer in Augenschein nehmen würden. Er musste möglichst bald nach Copertin.
Doch vorerst gab es dringlichere Probleme. In den schrillen Alarmton hinein, den der Bordcomputer, nach dem Treffer in einer nervenaufreibenden Endlosschleife kreischen ließ, mischte sich der eingehende Funkspruch sonderbar unstimmig. Mit ruhigen, fast freundlichen Worten forderte ein junger Offizier Samuel dazu auf, Bremsschub zu geben und alles einzurichten, damit der Patrouillenkreuzer ohne Schwierigkeiten längsseits gehen könne. Zuwiderhandlungen, so belehrte der junge Mann Samuel, könnten einen „weiteren Warnschuss“ oder andere Maßnahmen nach sich ziehen.

Unter den Zollbeamten, die alsbald der Zugangsschleuse entstiegen, konnte Samuel weder den, wenngleich geheuchelt, freundlichen Offizier, noch sonstige Freundlichkeit ausmachen. Kaum der Zugangsschleuse entstiegen, ließen die blau uniformierten Herren den Blick umherschweifen. Ihre Miene kündeten Widerwillen, so als sei ihnen generell nicht allein die Fracht, sondern alles an Bord höchst suspekt, angefangen beim hoffnungslos veralteten Heckgeschütz bis zum himmelblauen Handtuch in der Nasszelle.
Menschenkenntnis war in seinem Metier überlebenswichtig. Und so kam Samuel nicht umhin, ein Falsch im überheblichen Gehabe der Beamten feststellen zu können. Wahrscheinlich waren einige aus ihrer Schar empfänglich für freundschaftlich gedachte Zuwendungen. Ihr mürrisches Auftreten mochte weniger daher resultieren, mit einem vermeintlichen Schmuggler konfrontiert zu sein, als davon, dass man ihnen noch keine Aufmerksamkeit angeboten hatte. Schließlich verursachte die Große Blockade Engpässe auf beiden Seiten der Grenze und oben in Doreans Nebel konnte man anonym eine jede Ware versilbern. 'Eine Prise Salz lehnt keiner ab.', wie das Zitat lautete, das sich allmählich zum Geflügelten Wort entlang der Ersten Grenze entwickelte. Angeblich stammte es wie so viele Zitate von Jorge. 'Auf Jorge!', toastete Samuel in Gedanken und unterdrückte ein Schmunzeln, welches seine Besucher vermutlich unnötig befremdet hätte. Trotz allem hatte Samuel kein Verlangen danach, die Bestechlichkeit der Beamten in der Praxis zu testen.
„Sie sind Argone?“, fragte einer von ihnen. Ein sandfarbender Streifen mehr am Uniformkragen kennzeichnete ihn als Ranghöchsten.
„Föderationsbürger, von Ringo.“, beeilte sich Samuel zu sagen: „Samuel Greenwald, Unterleutnant a.D.“
Der Beamte hielt überrascht inne. „Föderationsbürger?“, fragte er mit einem lauernden Unterton. Samuel musste sich eingestehen, dass er die Kontrolleure unterschätzt haben mochte. Dem Gros selbst in ihrer misstrauischen Zunft wäre entgangen, dass Samuels Entgegnung der eigentlichen, der unausgesprochenen, Frage ausgewichen war. „Dürfte ich dann bitte einmal Ihre ID-Karte sehen?“
Samuel reichte ihm den kleinen Datenträger, den sein Gegenüber augenblicklich in das Lesegerät an seinem Gürtel einklinkte. Dem Display des Apparates entnahm der Kontrolleur rasch alles, was ihm zu wissen verlangte. Er grinste listig. Samuel dachte beunruhigt an die Daten im Bordcomputer. Solange der Beamte nur die Fracht durch zu gehen gedacht hatte, war das Risiko zu verkraften gewesen. Wenn der Zöllner seine Ladung im Namen der Föderation konfiszierte oder, was Samuel als wahrscheinlicher erachtete, unterschlug, um sie irgendwo in Doreans Nebel zu versilbern, war der Verlust wenngleich bedauerlich, so doch verschmerzbar. Selbst eine Strafzahlungen hätte er mit den Rücklagen aus seinen letzten Touren zu stemmen vermocht. Aber die Koordinaten des Wracks waren einige hundert tausend Yen wert, wenn nicht gar Millionen. Er fühlte einen Stich, als er sich den anderen, nicht in materiellen Gütern aufzurechenen Wert des Schiffes vorzustellen versuchte. Was würde die Föderation mit den Koordinaten beginnen, was mit dem Fund anstellen? Die Antwort konnte sich Samuel selbst nicht geben, solange er nicht selber wusste, welche Geheimnisse an Bord des vergessenen Raumschiffes von vergangenen Zeitaltern träumten. Er verfluchte sich dafür, dass Wrack nicht auf eigene Faust erkundet zu haben.
Kaum eine Sekunde war vergangen, seit das Grinsen des Kontrolleurs Samuels Gedanken dergestalt dazu zu bringen, sich tumultartig zu überschlagen. Äußerlich war ihm derweil nichts anzumerken. Als Schmuggler lernt man rasch, ein Sidorface aufzusetzen, das nicht allein beim Sidor und dergleichen Kartenspielen mehr vorteilhaft ist. Er wappnete sich für die kommende Frage.
„Sie sind Gunner?“
„Meine Eltern sind Gunner, ich nicht!“, betonte Samuel mit Nachdruck. „Außerdem ist das schließlich nicht verboten.“
„Sie können sich auch von oben bis unten lila anmalen. Das ist auch nicht verboten und doch unsinnig.“, kommentierte der Beamte abfällig, während er wieder kehrt machte und endlich den Frachtraum betrat. Samuel folgte ihm und hörte ihn fortfahren: „Also, meines Erachtens sind diese ganzen Gunner Verrückte, gefährliche Verrückte. Die da oben tun sich keinen Gefallen damit, diese religiösen Fanatiker zu dulden. Ich würde sie alle in eine Irrenanstalt stecken lassen oder besser gleich nach Artur.“
Samuel konnte die erste harsche Entgegnung, die ihm auf der Zunge gelegen hatte, nur mit Mühe wieder hinunterschlucken. Zu offensichtlich bestand das Bestreben des Zöllners darin, ihn zu provozieren. Dieser klopfte eine der knapp fünfzig übermannshohen Frachtboxen, die er willkürlich bestimmt hatte. Eine stumme Aufforderung an den Piloten die Kiste zu öffnen. Als sich Samuel nun hinab beugte, um den Code in das Zahlenschloss des vakuumversiegelten Behältnisses einzugeben, hatte der Beamte endlich die Genugtuung auf der größeren Mann hinab zu schauen. Sein Triumph wurde allerdings durch den Umstand geschmälert, dass dieser davon nichts mitbekam. So setzte er denn mit Worten nach: „Also, dass die einen wie Sie zum Leutnant gemacht haben, tsh, tsh.“
Nachdem sich der Verschluss leise zischend geöffnet hatte, riss Samuel wutentbrannt die Frachtbox ruckartig auf. Dumpf donnernd schlug die Kunstmetallklappe gegen das Gehäuse der nächsten Box. Exakt 333 Pancku lange, schiefergraue Baumstämme mit glatter Oberfläche kamen in der offenen Kiste zum Vorschein. Während sich Samuel wieder aufrichtete, waren seine Fäuste geballt. Er sah den Zollbeamten nicht an, zu sehr fürchtete er bereits, jeden Moment die Beherrschung zu verlieren. Er atmete einmal tief durch und richtete so ruhig wie möglich einen Befehl an seinen Schiffcomputer: „Hesekiel, gib mir die Frachtpapiere auf die Konsole im Frachtraum. Container Siebzehn hervorheben.“
Der Computer bestätigte knapp. Samuel wandte sich wieder dem Kontrolleur zu. Mit einem angestrengten Unterton in der Stimme presste er hervor: „Da: Paranidisches Cryholz.“ Auf keinen Fall, würde er diesem selbstherrlichen Kerl auch nur ein weiteres unnötiges Wort gönnen.
Der Beamte überflog die Daten der Frachtpapiere. „Sie haben ausschließlich Cry geladen?“, wollte er wissen.
„Ja-ha!“, bestätigte Samuel gedehnt.
Langsam schritt der Kontrolleur durch die schmalen Durchlässe zwischen den wuchtigen Containern, blieb hin und wieder stehen, überprüfte die Etiketten und verglich mit den Papieren. Auch ließ er Samuel drei weitere Frachtboxen öffnen. Schließlich gelangten beide in eine der abgelegensten Ecken des Frachtraumes, wo der Zollbeamte unvermittelt ein scharfer, ihm wohl geläufiger Geruch in die Nase stieg. Die Duftspur führte ihn zielsicher zu einem Container, vor dem sich eine große, blau schimmernde Lache gemächlich ausbreitete. Vor der Pfütze ging er in die Hocke, tauchte den Finger in die Flüssigkeit und führte ihn anschließend triumphierend in den Mund. „Tja, Greenwald-san,“, meinte er: „Das war wohl nichts.“

Fast drei volle Stunden dauerte die folgende gründlichere Inspektion der Chuzpe an Bord des Mercator-Raumhafens. Der Name zeugte noch von der Zeit, als die Handelsstation des Sektors Heimat des Lichts noch die florierende Drehscheibe für den gesamten Handel zwischen R-Gunne, Aldrin und Paranid Prime gewesen war.
Jener einstmals florierenden Handelsstation nahe des Argunner Tores, die inzwischen zur Fusa, zur „Große Blockade“ der südlichen Kolonien genutzt wurde.

Die Schatten Jurates

„Ich glaube das ist Wand, mein Freund.“, bemerkte Pietro. Seine Stimme klang sonderbar blechern aus den Lautsprechern in Samuels Helm. Dieser drehte sich zu seinem älteren Gefährten herum. Langsam, denn schnelle Bewegungen ließ sein klobiger Raumanzug nicht zu. Er hatte ihn vor einigen Jahren in einem Staufach der Chuzpe gefunden, wo ihn der Vorbesitzer des Frachters vergessen zu haben schien. Oder auch der Vorvorbesitzer. Wahrscheinlich, so dachte Samuel manchmal, stammte es noch aus Nathan Ridleys Gunnes Zeiten und gehörte eigentlich in ein Museum. Wehmütig dachte er sich an seine Zeit beim Militär und die Bewegungsfreiheit, welche die moderne Kampfraumanzüge boten. Sechs Jahre war der Krieg erst vorbei, ihm aber schienen es Jahrzehnte zu sein.
„Sicher ist das die Wand.“, bestätigte Samuel. „Aber hier haften die Magnetstiefel wesentlich besser.“ Zur Untermalung hob er den rechten Fuß an. Es erforderte eine gewisse Kraftanstrengung diesen von der Wand zu lösen. Anschließend ließ er den Stiefel knapp über der metallenen Konstruktion kreisen bis er sich dort wieder festsaugte. Ein lautes Klacken begleitete den Vorgang und wurde über Wände und Böden zu den beiden Männern weitergeleitet.
„Ja aber schau, hier ist unten.“ Pietro, der aus Samuels Perspektive horizontal stand, wies auf seine Füße: „Hier ist ein Teppich.“
Samuel grinste, was Pietro nicht sehen konnte, weil beide mit ihren Taschenlampen den Gang vor ihnen ausleuchteten: „Ist vielleicht auch ne’ Tapete.“
„Auf Kriegsschiffen gibt es doch keine Tapeten!“
„Also auf den Kriegsschiffen, die ich kenne – und das sind sicher mehr als bei Dir, Goj – gibt’s auch keine Teppiche.“
Pietro drohte spielerisch mit der Faust: „Ich geb’ Dir gleich Goj, Krummnase!“
„Ha! Ha! Pech! Das darfst Du doch gar nicht, Mönch.“ Samuel ließ seine Lampe kreisen. „Aber mal im ernst, was meinst Du ist das hier?“
„Ein Kriegsschiff?“, schlug Pietro vor. „Mit Teppich.“, fügte er nach kurzer Pause hinzu.
„Toll, für diese Erkenntnis hätte ich keinen Gunnerhistoriker gebraucht. Aber was für ein Kriegsschiff?“, fragte der Schmuggler. Er hatte das Wrack in einem hohen Orbit um den Gasriesen Jurate entdeckt, als er nach neuen Schleichwegen gesucht hatte, um die Überwachungssatelliten der Föderation, die berüchtigten ‚Argunns-Augen’, zu umgehen.
„Letztlich können wir das erst sagen, wenn wir die Brücke finden.“, beantwortete Pietro vorsichtig die Frage. „Fürs Erste würde es aber sicherlich schon helfen, wenn ich das Schild da lesen könnte.“
Samuel sah sich überrascht um: „Schild? Welches Schild?“
„Das Schild, auf dem Du mit einem Fuß draufstehst. Das Schild, das zu der Tür gehört, auf der mit dem anderen Fuß draufstehst.“
„Oh!“ Samuel machte ein paar Schritte zurück. Pietro trat an die Tür heran. Auch er bewegte sich umständlich. Zwar war sein Raumanzug neueren Datums, jedoch fehlte ihm jegliche Erfahrung mit der Fortbewegung in der Schwerelosigkeit. Obwohl seine Stiefel festen Halt auf den Teppichboden fanden, unter dem sich schließlich wiederum Metall befand, hangelte er sich vorsichtig von einer der zahlreichen Handschlaufen an den Wänden zur nächsten vor. „Und was steht nun auf dem Schild?“, fragte Samuel, nachdem der Gunner es erreicht und den Staub fortgewischt hatte.
„Raum 517.“, las Pietro ab.
„Hervorragend!“, kommentierte Samuel ironisch: „Das bringt uns weiter.“
„Es zeigt uns zumindest schon einmal, dass dieses Raumschiff von Menschen gebaut worden ist.“, belehrte ihn Pietro in leicht schulmeisterlichen Tonfall, während er versuchte die mechanische Türverringelung zu öffnen.
Samuel ließ den Lichtkegel seiner Lampe ein weiteres Mal umherwandern - über die rechtwinkligen Wände und dem Teppich am Böden, die kastenförmigen, erloschenen Leuchtkörper und die rechteckigen Vertiefungen der Türen. „Naja, dass das nicht gerade boronisches Innendesign ist, hätte man sich auch selber denken können.“
„Warst Du schon mal auf einem boronischen Raumschiff?“, fragte Pietro überrascht.
„Sehe ich aus wie ein Seepferdchen mit Armen?“, entgegnete Samuel kopfschüttelnd.
Da knackte es plötzlich vernehmlich in der Türverriegelung. Pietro krallte seine Finger in die kleine Vertiefung, die als Griff diente, und zog daran. Samuel kam zu ihm ‚herunter’, um ihm zu helfen. Gemeinsam gelang es ihnen schließlich, die Tür aufzustemmen. Vor ihnen lag der Raum 517, in dem eine fürchterliche Unordnung herrschte.

Es handelte sich offenbar um ein Quartier eines höherrangigen Besatzungsmitgliedes, denn der Raum enthielt nur ein einziges Bett – oder zumindest die Reste eines einzigen Bettes. Alle Möbel und Gegenstände im Raum, die nicht wie der Schrank fest installiert waren, trieben hier seit langer Zeit in der Schwerelosigkeit herum. Zum Teil heftige Beschädigungen wiesen zudem darauf hin, dass der Raum – wahrscheinlicher das ganze Schiff - mehrfach heftig durchgeschüttelt worden war.
Die beiden Männer stapften durch den Raum, umschwebt von allerlei Gebrauchsgegenständen wie Kleidungsstücken, Schreibutensilien und vergilbten, unleserlichen Papieren, die kurz durch die umherwandernden Lichtkegel ihrer Taschenlampen huschten und wieder in der Dunkelheit verschwanden. Auch Scherben, die einst Trinkgefäße, Flaschen oder eine gläserne Tischplatte gewesen sein mochten, flogen umher, sowie Bruchstücke und Splitter des Bettes oder anderer Möbel. Es musste sich tatsächlich um eine Offizierskajüte handeln, bekräftigte Samuel seine zuvor gefasste Erkenntnis. Mannschafter hatten keine richtigen Betten, sondern einfache Schlafkojen.
Samuel ging langsam im Raum herum und pflückte hin und wieder einen der Gegenstände aus dem Vakuum heraus und nahm es näher in Augenschein. Dabei war er achtsam darauf bedacht, nicht mit den Scherben in Berührung zu kommen. Eigentlich durften diese seinem alten Raumanzug nichts anhaben können, doch er zog es vor, sich nicht darauf verlassen zu müssen. Doch alles, was er untersuchte, ließ er bald wieder fahren. Er suchte zweierlei und fand beides nicht. Zum einen suchte er nach Hinweisen, die aufzeigten, auf was für ein Schiff er gestoßen war. Das Fehlen der Hinweise ärgerte ihn, denn er wollte seinen Fund gerne versilbern, und so hatte er auf irgendetwas Konkretes gehofft, für das die Gunner viele Yen an Belohnung hinzublättern bereit wären. Aber abgesehen von den Hinweisen, fehlte noch etwas anderes. Er schwenkte seine Lampe ein weiteres Mal suchend herum.
„Ich sehe hier nirgends Elektronik, nicht mal als Schrott.“, stellte er fest.
Pietro gab einen Brummton von sich, der wohl bestätigend gemeint war. Er hatte sich inzwischen zum Schrank begeben und fing an ihn zu durchstöbern. „Wir sind wohl nicht die Ersten hier, mein Freund.“, sagte er, eine Uniform hervorholend, von der sämtliche Hoheitszeichen, ja selbst die Köpfe abgerissen worden waren.
Samuel ballte die Faust. In der Tat, irgendwer hatte das Schiff schon lange vor ihnen gefunden und durchsucht. Wahrscheinlich stammte von diesem jemand auch das Loch im Schiffsrumpf, durch das auch sie beide ohne schweres Gerät eingestiegen waren. „Verfluchte Wrackräuber!“, knurrte er. Dann ging ihm durch den Kopf, dass er eigentlich nichts anderes sei. „Verfluchte Wrackräuber!“, wiederholte daraufhin und musste schmunzeln.
Da gewahrte er plötzlich aus den Augenwinkeln etwas Großes, das sich bewegte. Erschrocken wollte er herumfahren, doch sein Raumanzug behinderte auch diese schnelle Bewegung und so drehte er sich nur gemächlich in die Richtung, wo er das Etwas gesehen hatte. Es stellte im Licht seiner Lampe indes nur als ein großes Stück Stoff heraus, eine Decke oder ein Handtuch vielleicht.
„Huch!“, machte Pietro. Er klang überrascht und verlegen. Samuel wandte sich ihm zu und musste lachen als er den Mönch im Raumanzug erblickte, einen Büstenhalter in der Hand haltend.
Der Gunner ließ das Kleidungsstück los und es driftete davon. „Der Bewohner dieser Kabine war offenbar eine Frau.“, bemerkte er.
„Oder sehr beliebt.“, erwiderte Samuel. Pietro schwieg dazu.
Der Schmuggler richtete seine Aufmerksamkeit daher wieder auf das Stück Stoff, das ihm zuvor so erschreckt hatte. Es war bedruckt. Auf einem grünweißen Hintergrund war ein rotes Tier abgebildet, das Samuel völlig unbekannt war. Es hatte vier krallenbewehrte Beine und Flügel. Und aus dem Maul kam eine überlange Zunge hervor. Samuel grübelte. Vielleicht sollte es auch gar keine Zunge darstellen, die Form war sonderbar, ähnelte mehr den Nahkampfwaffen der Split. Ob es sich um die Darstellung einer der unzähligen Fabelwesen aus der Mythologie der Split handelte. Anderseits standen unter- und oberhalb des Tieres eindeutig menschliche Schriftzeichen, die indes nur sinnlos aneinandergekettet waren. „Mae hen wlad fy nhadau yn annwyl i mi Gwlad beirdd a chantorion enwogion o fri.“, las Samuel. Er konnte sich keinen Reim darauf machen.
„Was hältst Du hiervon, Pietro?“, fragte er und hielt das Tuch gestrafft, damit der Mönch den Text erkennen konnte. „Ist das irgendein Splitspruch mit unseren Buchstaben geschrieben.“
Der Historiker warf einen kurzen Blick auf das Stück Stoff. „Interessant. Sehr interessant.“ murmelte er, wandte sich dann aber wieder den Uniformen zu, um schließlich doch noch einmal aufzublicken: „Wieso sollten Split hier eine Nachricht mit romanischen Schriftzeichen hinterlassen?“
„Damit wir sie auch verstehen, natürlich.“
Pietro blieb skeptisch: „Dann könnte sie doch gleich unsere Sprache benutzen. Nein, das macht keinen Sinn. Sicher ist das eine menschliche Botschaft in einer menschlichen Sprache. Ich schau mir das gleich mal näher an.“
Samuel besah sie den Text noch einmal: „Menschliche Sprache? Mae hen wlad fy? So was habe ich noch nie gesehen.”
„Aber, aber, mein Freund, vergiss nicht, auf der Erde existieren so viele, viele wundervolle Sprachen und Mundarten, so zahlreich wie die Sterne am Himmel. Und eine jede ist eine Wonne für das Ohr. Allein Auf dem Erdteil, den wir Afrika nennen, können wir…“
Samuel verdrehte die Augen, seufzte und stellte seine Ohren auf Durchzug. Wie man auf Ringos Mond, seiner Heimat, sagte: ‚Es werden eher alle Sterne des Universums erlischen, als dass ein Gunner eine Predigt über die Erde abschließt’. Erde, Erde, Erde. Samuel verstand durchaus, wieso die meisten Menschen entnervt bis feindselig auf die Erdgläubigen reagierten, denn oft ging es ihm selbst nicht anders. Dabei glaubte auch er daran, dass die Menschheit eine andere, eine ältere Heimat besaß als den Planeten R-Gunne Prime. Oder hatte es zumindest einmal geglaubt. Als Kind hatte er begierig die spannenden Geschichten über Neil Armstrong, René Farnhem, Iosea Bipecku, Joan Mitchell, Nathan Gunne und all die anderen Helden und Pioniere aus weiter Vergangenheit aufgesogen, die ihm seine Eltern erzählten. Viele Jahre waren seitdem vergangen. Die Kindheit, die das Unbeweisbare jederzeit als wahr zu akzeptieren gewillt ist, lang entschwunden. Es war nicht gerade vorteilhaft, wenn man als Föderationsbürger den Vermerk ‚erdgläubig’ auf dem ID-Chip gespeichert hatte. Irgendwann war Samuel zu der Meinung gelang, die Frage ‚Erde ja – nein’ hätte letztlich doch keinen Bezug zu seinem Leben, und er hatte aufgehört, sich mit ihr auseinander zu setzen.
Er stutzte als der schier unaufhörliche Redefluss seines Begleiters schließlich doch versiegte. Pietro schien sich plötzlich überhaupt nicht mehr zu rühren. Beunruhigt richtete Samuel seine Lampe auf den Kopf des Mönches aus, welcher daraufhin reflexartig die Hand hob, um sich vor dem blendenden Licht zu schützen. Trotzdem hatte der Pilot erkennen können, dass sein Begleiter kreidebleich geworden war.
„Was ist, hast Du das zum BH gehörende Höschen gefunden?“, spöttelte Samuel, sorgloser als ihm zu Mute war.
„Nein, ich… hier…“ Mit fahrigen Bewegungen reichte Pietro seinen Begleiter die Uniform, die er gerade in der Hand hielt. Als er die andere Hand wieder senkte, konnte Samuel sehen, dass seine Augen leuchteten. „Hier schau, im Kragen…“
Samuel nahm ihm die Uniform ab. Im Kragen hing der Rest eines abgerissenen Inlets. Darauf war eine Zahl zu erkennen, darunter standen die drei dicken Buchstaben 'USC’.
Samuel musste nicht lange nachdenken, was das Kürzel bedeutete. „United Space Command.“, hauchte er mit einer Ehrfurcht, die ihm selber überraschte.
„Ja, mein Freund.“, entgegnete Pietro. „Ja! Ja!“, jubelte er: „Ein terranisches Schiff! Ein altterannisches Kriegsschiff!“

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